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Dieses Thema hat 0 Antworten
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 Schamanismus
majun ( Gast )
Beiträge:

29.03.2006 07:29
die weisse wölfin Antworten

besuch bei meiner brieffreundin nijanani novalinga und ihrem mann augiak.
nijanani ist ojibwe-cree geschichtenerzählerin und künstlerin, ihr großvater yuppie nituak hat die letzte "shaking tent"-ceremony gemacht, bevor sie von der regierung verboten wurde.
nijanani ist bei ihrem großvater aufgewachsen, er war schamane und hat ihr nach seinem tod die "halbe kraft" übergeben, weil sie angst hatte und nicht die ganze kraft wollte. am sterbebett schenkte er ihr also nur die halbe kraft.
augiak ist inuit-schamane, er wurde in der hudson bay geboren und lebte damals noch in einer jurte, sein leben bestand aus eisbären- und robbenjagd.

ich besuchte die beiden zwei august-wochen lang in ontario, wo sie seit langer zeit in einem kleinen zedernhaus sehr abgelegen mitten im wald leben. mein erster eindruck war nicht nur beeindruckend, sondern auch bedrückend.
wir fahren mit dem auto in den stockdunklen wald, es ist, als ob sich hinter uns eine tür schließt. so viel wald. so dicht. tiere laufen im scheinwerfer-licht über die strasse. eine ganz eigene welt. beengend.
nichts von der unendlichen freiheit und weite. die bäume erdrücken mich, ich sitze beklommen da und schaue aus dem fenster. diese stille. und hier gibt es bären und elche und wölfe...

vieles haben wir unternommen, in der zeit, als ich dort war. haben indianer besucht, künstler, ich durfte mit einer indianischen band singen, wir haben die niagarafälle besucht, toronto, sind im ontario-see geschwommen, haben lagerfeuer am crowe-river gemacht und sind nachts mit den fledermäusen schwimmen gegangen, während sich das feuer im fluß spiegelte. junge leute sangen janis joplin-lieder.
ich hab dank mc donalds 6 kilos abgenommen, weil ich den frass nicht essen wollte.
aber nichts ist mir so stark in erinnerung geblieben, wie die wildnis und deren bewohner.

im algonquin park, sind wir einfach irgendwo neben der strasse mit dem auto stehen geblieben und in den wald gelaufen.
es wurde rasch finster, und plötzlich kamen wir vom weg ab. nijanani bekam als kind eine ausbildung bei ihrem großvater. dazu gehörte, nachts draußen zu schlafen, und die geräusche der tiere einordnen zu können.
sie hört wie ein luchs, und weiß sofort, welches tier da ist, und wenn es stockdunkel ist. und sie riecht gut. wir stolpern durch den wald- augiak stützend, weil er probleme mit dem gleichgewicht hat, er hat seit seinem 16. lebensjahr multiple sklerose.
ich habe angst und bekomme verfolgungswahn. ich will nicht ganz hinten gehen weil ich mich verfolgt fühle, will aber auch nicht ganz vorne gehen, weil ich angst habe über einen bären zu stolpern.
man sieht absolut NICHTS.
zur sicherheit sagt nijanani, könnten wir wolfhowling machen. dann wüssten wir zumindest, ob wölfe da sind. frische nasse spuren haben wir kurz zuvor auf einem holzsteg gesehen.
wir heulen. die antwort folgt prompt, allerdings weit entfernt. ich bin beruhigt. plötzlich sagt nijanani:"hier riecht es nach elch"
ich schnuppere in der luft- kann nichts riechen. sie sagt:"er ist ganz nah, ich spüre ihn. er muß hier irgendwo sein. riechst du es nicht?"
ich gehe ein paar schritte weiter und plötzlich erschlägt mich der intensive geruch fast. sofort bleibe ich stehen, ich will ihm nicht draufsteigen.
nijanani lacht wegen meiner angst. klar, sie ist damit aufgewachsen. bei uns gibt`s nur fasane und rehe.
wir gehen weiter, der wald lichtet sich und ober uns der sternenhimmel. auf einem großen felsen nehmen wir platz und schauen den himmel an. noch nie habe ich die sterne so nahe gesehen. nijanani zeigt mir die milchstrasse. ich kann sie mit freiem auge sehen! nie zuvor hab ich die sterne so nah zum greifen nah gehabt. augiak beginnt zu singen. es ist wunderschön.
stunden später haben wir aus dem wald rausgefunden und fahren nach hause.
als wir zum haus kommen hören wir lärm. nijanani schimpft: "schon wieder ein waschbär in der mülltonne! aaahhh"
sie fragt mich, ob ich nochmal die wölfe heulen hören will. ich nicke.
wir stellen uns mit dem rücken zum haus und augiak beginnt zu heulen. es ist stockfinster, man sieht die hand nicht vor den augen. wir heulen. zu dritt. laut.
warten gespannt. absolute stille, dann plötzlich Aaauuuuuuuuuuuuu- die wölfe sind ganz nah. es knackst im wald. äste brechen. nijanani sagt, es sind fünf und zeigt mir, aus welchen richtungen sie kommen. ich drücke mich an die hauswand und weiß nicht, ob ich mich freuen oder in die hose machen soll.
sie versichert mir, daß sie höchstens schnuppern kommen und dann wieder davon laufen. nur ab und zu springt einer auf die terasse und kommt zum schlafzimmerfenster.
na, beruhigend.
wieder heulen wir, wieder antwort. ganz laut, ganz nah. nijanani läuft rein ins haus und holt die taschenlampe. überall knackst es jetzt, sie kommen aus allen richtungen.
ich habe richtig angst. haben die schon gefressen heute? rieche ich nach der eben gegessenen banane? riechen die das auch? werden sie neugierig?
augiak heult alleine und ich kann die wölfe fast spüren.
nijanani schaltet die taschenlampe ein und leuchtet in den wald rein. der lichtschein tastet die dichten äste und blätter ab, und da sehe ich sie: ein leuchtendes augenpaar. eine weiße wölfin. sie schaut nur kurz her und interessiert sich dann doch wieder für den boden.
in den nächsten tagen sind keine wölfe da.
ich sitze jeden tag an der stelle, an der ich die wölfin sah. frühmorgens höre ich ihre jungen in einem bau nur etwa 300 meter vom haus entfernt winseln, bis sie nach hause kommt.
jeden morgen winseln die jungen. jeden tag sitze ich an der selben stelle und höre ihnen zu und hoffe, die wölfin noch einmal zu sehen. sie kommt nicht.
einmal heulten wir zu dritt, und als antwort kam ein schwaches "miiiiaaaau"- das war der kater von nija, der sich wunderte, was wir da veranstalten. großes gelächter.

als ich wieder nach österreich komme ruft nijanani an. sie sagt: "an der stelle, wo du immer sitzt ist heute die wölfin da gewesen! ich soll dich grüßen!"
ich weine vor freude. wochen später schickt mir nijanani ein foto der weißen wölfin. sie ist immer wieder zu "meinem" platz gekommen. und nija konnte sie fotografieren.
nächstesmal werd ich keine angst mehr haben. ich werde heulen vor freude. sie ist wunderschön. wölfe sind wunderschön. das heulen ist wunderschön.

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