Meine Mutter lebt in der großen Stadt in einer kleinen Wohnung hinter heruntergelassenen Rollos und zugezogenen Vorhänden. Ihre Bettdecke hat sie sich bis unters Kinn gezogen. Sie liegt verletzlich klein unter ihrer Decke, die aus demselben Stoff genäht ist, wie die Vorhänge. Meine Mutter näht nicht, sie lässt nähen. Sie hat einen sehr guten Geschmack. die gesamte Wohnung ist wunderschön eingerichtet und stets aufgeräumt. Auch in der Küche könnte man vom Boden essen. Da liegt nichts herum. Alles ist an seinem Platz. Der Herd ist geputzt, der Geschirrspüler ist ausgeräumt. Beides sind teure Geräte und unbenutzt. Im Kühlschrank sind nur Butter, Schlagobers und Marmelade. Nein, es ist keine Marmelade, es ist Marillenkuvertüre von darbo. Kuvertüre hat keine Stückchen. Butter und Schlagobers sind auch stets von der gleichen österreichischen Qualitätsmarke in unveränderlicher Verpackung seit ich ein Kind war. Meine Mutter weiß, was sie will. Sie weiß, was ihr schmeckt. Sie schluckt Antidepressiva. Sie ist sehr selbstbewusst. Ich bin das auch. Sie liebt Nüsse, genauso wie ich. Wir mögen am liebsten Cashewkerne.
Das Bett meiner Mutter ist groß. Es ist einen Meter und sechzig Zentimeter breit und zwei Meter lang ohne Besucherritze. Links von ihr würde jederzeit jemand Platz finden. Aber da ist niemand. Sie ist lieber allein. Ich bin das auch.
Wir lieben beide Schokolade. Es muss keine bestimmte Marke sein, aber exklusiv und teuer muss sie sein. Am besten schmeckt uns Nougat.
Meine Mutter wird immer dicker, aber ihr Gesicht bleibt klein, zart zerbrechlich. Ich will ihr Köpfchen in meinen Schoß legen und ihr über ihr weißes struppiges Haar streichen. Ich möchte sie sanft in meinen Armen wiegen, ihren großen tiefen Schmerz lindern. Ich würde sie gerne trösten, ihre Tränen trocknen und meine fließen lassen. Aber ich mache es nicht, denn ich habe keinen Kontakt zu ihr.