wollte auch hier mal was über haiku reinschreiben, falls es wen interessiert. auf den ersten blick mögen haiku ja für leut`s, die sich nicht damit beschäftigen aussehen, als ob das gar keine kunst wäre, die zu schreiben. nun arbeite ich aber seit einiger zeit in einer online-privatwerkstatt mit einigen haiku-autoren zusammen und hab festgestellt, daß das sehr wohl eine eigene kunst ist- und seit ich mit dem haiku-virus infiziert worden bin, denk ich echt manchmal nur noch in dreizeiligen 5-7-5-takten.
haiku ist eine japanische dichtkunst und es gibt irrsinnig viele regeln dazu, zudem gibt es da noch alle möglichen abwandlungen wie das RENGA, oder sonstiges. hier mal ein auszug aus den "gesetzen" dieser dichtkunst....
Das Renga
Ein Renga ist ein Kettengedicht bestehend aus Oberstollen, einem Dreizeiler (traditionell in der metrischen Struktur 5/7/5 Silben), und einem Unterstollen, der als Zweizeiler 7/7 gestaltet wird. Im Gegensatz zum Tanka, das die selbe äußere Struktur hat, wird das Renga von zwei Autoren geschrieben. Erstmals erwähnt wird das Renga als Partnerdichtung im Kinyôshu (Liedersammlung aus dem Jahre 1127 von Minamoto no Toshiyori). Mit den Arbeiten des Dichters Nijo Yoshimoto (14. Jahrhundert) und Bashô (17. Jahrhundert) beginnt die literarische Akzeptanz des Renga. In Europa hat Carl Heinz Kurz das Renga und die Kettendichtung bekannt gemacht.
Die Partnerdichtung ist keine Konkurrenzdichtung. Es gibt keine Sieger oder Besiegte, sondern hier gilt besonders der Zen-Spruch: Tue dein Bestes! Nimm dich selbst zurück und arbeite daran, dass der gemeinsame Text gut wird. Es beginnt mit dem Oberstollen des ersten Autors und wird dann vom zweiten Autor mit einem Zweizeiler mit 7/7 Silben assoziativ beantwortet. Besonders die neue Deutung des zweiten Autors macht das Einzigartige der Renga-Dichtung aus. Hier gibt nicht der selbe Autor eine Antwort auf die Frage im Oberstollen, sondern eine neue Assoziation des zweiten Autors gibt dem Gedicht eine unerwartete Wendung. So muss auch die Zeichensetzung nach dem Oberstollen bis zur Formulierung des Unterstollens offen bleiben. Erst, wenn klar ist, wie der zweite Autor an die letzte Zeile des Dreizeilers anschließt, setzt dieser das Schlusszeichen (oder läßt es weg). Darüberhinaus formuliert der zweite Dichter eine Überschrift, die die neue Wendung für das gesamte Gedicht erklärt oder sie sogar in eine dritte Sinnebene heben kann.
Thematisch ist die Renga-Dichtung nicht festgelegt, das heißt ein kigo (ein Jahreszeitenwort) im Aufgesang ist nicht obligatorisch. Alle Bereiche des menschlichen Miteinander: der Liebe, der Kulturen, Politik, Religionen und Natur sind Themen, die heiter, ernst, witzig oder nachdenklich gestaltet werden können.
Auch ein junger Tag Weiß schon vom Abendabschied. Du wirst erwartet
Joachim Grünhagen
Läute die Glockenblume, Eh' der Mond Schatten wirft.
Stephanie Jans
Sanduhrzeit
Kartoffelfeuer... du sagst das Wort und das Feld duftet nach Kindheit.
Reiner Bonack
Hinüber ins Alter schwebt der Drachen > Erinnerung<
Wolfgang Dobberitz
Lebensstufen
Wenn die Furcht groß wird und das Herz sich verdunkelt, falten sich die Hände
Carl heinz Kurz
Lernt das Herz nicht vertrauen, stoßen Hände ins Leere
Alfons Bungert.
Wagnis
Vom Abgrund her wächst die Fichte gegen den Berg zum Himmel hinauf
Waltraud Schallehn
immer höher und höher. Ein neuer Turm zu Babel?
Ingrid Maceiczyk
Ungewissheit
Der Kasen
Ein Kasen ist ein Kettengedicht bestehend aus 18 Renga. Es beginnt mit einem Dreizeiler (traditionell in der metrischen Struktur 5/7/5 Silben) des einen Autors und dieser wird dann vom zweiten Autor mit einem Zweizeiler mit 7/7 Silben assoziativ beantwortet. Ein Kasen ist in Sätze gegliedert:
Ouverture (3 Renga)
Zweiter Satz - erster Teil (3 Renga)
Zweiter Satz - zweiter Teil (3 Renga)
Dritter Satz - erster Teil (3 Renga)
Dritter Satz - zweiter Teil (3 Renga)
Epilog (3 Renga)
Die Verse oder Strophen in den einzelnen Sätzen unterliegen einer thematischen Vorschrift, die nach C.H. Kurz in Zusammenarbeit mit Dr. Yukio Mizutani für den europäischen Kulturkreis erarbeitet wurden. Jeder Autor antwortet mit seiner Strophe auf Worte oder Inhalt des vorangegangenen Verses. Dadurch geht der Folgeautor mit einer Assoziationtechnik auf das davor verfasste Satzglied ein und verknüpft es gewissermaßen mit seinem Text. Gleichzeitig soll die Verbindung entküpft werden, da dem Folgeautor aufgegeben ist, eigene, neue Gedanken einzubringen. Ein Satz kann(!) ein Grundthema verbinden (Abschied, Wintertag).
Der Kasen gleicht 36 Schritten. Jeder Schritt ist frei vom Wunsch des Zurückkehrens. Man folgt dem Lauf und ändert den Sinn allein aus dem Wunsch vorwärtszuschreiten.
(Hakai-Schrift Shirosôshi- 1702).
Prägnante und hervorstechende Wörter dürfen innerhalb eines Satzes nur einmal benutzt werden. Dazu gehören Nomen, Verben und Adjektive, besonders wichtig bei der Reaktion auf ein kigo! Präpositionen, Artikel oder Konjunktionen dürfen innerhalb eines Satzes doppelt verwendet werden.
Den ersten Vers (hokku) schreibt der oder die Renga-Meister/-in, der oder die Gastgeber/-in oder ein Ehrengast. Erst wenn der neue Vers von allen Teilnehmern (rokkasen) akzeptiert ist, wird er Bestandteil der Kettendichtung. Ein/e Renga-Meister/in muss den Fortgang der Dichtung überwachen, auf Regelverstöße aufmerksam machen und diese Texte ablehnen.
Renshi-Lesung in der Akademie der Künste am 3. Oktober 1999
In der Vierteljahresschrift der Deutschen Haiku- Gesellschaft Jahrg.3, Nr.3/Sept. 1990 veröffentlichte Prof. Eduard Klopfenstein sein Essay zum Thema „Renshi - Zeitgenössische Lyrik in Form von Gedichtketten". Mit seiner Zwischenbilanz aus den Asiatischen Studien von 1996 „Moderne Kettendichtung (Renshi), japanisch und international" liegt nun eine weitergehende Darstellung der modernen Kettendichtung vor. Da diese nicht jedem unbedingt zugänglich ist, verbinde ich den Bericht über den Besuch einer Renshi-Lesung mit einer knappen Zusammenfassung der aktuellen Sicht der Renshi-Dichtung.
Am Tag der deutschen Einheit, am 3. Oktober 1999 fand in der Akademie der Künste in Berlin eine Renshi - Lesung statt. Vier internationale Poeten fügten zusammen, was zusammen gehört:
Ôoka Makoto (Japan), Inger Christensen (Dänemark), Adam Zagajewski (Polen) und Jürgen Becker (Deutschland) stellten ihre, erst kurz vor Beginn der Lesung fertiggestellte Kettendichtung vor. Die einführenden Worte sprach Eduard Klopfenstein (Schweiz), der maßgebliche Vermittler, Übersetzer und Organisator der modernen Kettendichtung.
Die Lesung erfolgte in drei Schritten:
1.Durchgang: Die Texte der Autoren wurden in deutscher Sprache vorgelesen. Frau Christensen und Herr Zagajewski sprachen deutsch. Die Strophen von Ôoka Makoto wurden von Eduard Klopfenstein vorgetragen.
2.Durchgang: Die Autoren lasen ihre Texte in ihrer Muttersprache.
3.Durchgang: Die 36 Strophen wurden noch einmal in deutscher Sprache vorgetragen.
Alle 36 Strophen übertrug Ôoka Makoto kalligraphisch in japanischer Sprache auf eine Papierrolle, die entlang der Treppe in den Zuschauerraum führte. Die Lesung war ein grandioses Erlebnis für die ungefähr einhundert Besucher, die zwar etwas verloren, aber sehr interessiert in dem siebenhundert Zuschauer fassenden Saal dem Geschehen auf der Bühne folgten. Vier Autoren haben es fertiggebracht trotz ihrer unterschiedlichen Sprache und trotz ihres unterschiedlichen kulturellen Hintergrundes, poetische Perlen auf eine Schnur zu reihen. Schon 1986 machte es Ôoka Makoto in seinem Essay deutlich: Die Beteiligten werden zu Zeugen eines gemeinsamen Schaffensprozesses, zu Mitautoren eines Werkes. Die Dichter aus verschiedenen Ländern sind nicht selten auch Vertreter unterschiedlicher Kulturkreise, die innerhalb von Tagen, oft nur von Stunden erfahren, dass der eben noch fremde Autor anders denkt und anders reagiert aber durch das Verständnis für die Verschiedenheit des Gegenüber vom Fremden zum Freund wird.
Leider ist der Text der 36-strophigen Dichtung noch nicht verfügbar und wäre sicherlich auch nicht ohne Zustimmung der Autoren hier vorzustellen. Der vollständige Text, so Herr Klopfenstein, werde voraussichtlich im Frühjahr 2000 in der Zeitschrift 'Sinn und Form' veröffentlicht. Aus meiner Erinnerung schummele ich hier ein paar poetische Sequenzen der vier Dichter hinein:
...Bäume vergessen die Hitze des Sommers...
...zum Glück war Hölderlin zu Haus...
...Woran denken die Bilder im Museum?...
... wenn die gelben Birnen hängen und den Zweig nicht loslassen...
Den Ausführungen E. Klopfensteins habe ich alle folgenden, für mich neuen und sehr interessanten Informationen entnommen:
1969 trafen sich Octavio Paz (Mexiko, Nobelpreisträger 1990), Jaques Roubaud (Frankreich), Edoardo Sabguineti (Italien) und Charles Tomlinsen (England) in Paris und ließen sich zum ersten Mal in Europa auf das Wagnis Kettendichtung ein. Jeder Teilnehmer schrieb eine Strophe in seiner Sprache, und die weitere Abfolge wurde nach den Regeln der Kombinatorik gesteuert. Schon damals ging es den Autoren nicht um eine direkte Übernahme der Rengaformen und Rengaregeln, sondern eher um die allgemeine Übertragung des kollektiven Schaffensprinzip in die moderne europäisch-amerikanische Lyrik. 1969 entschied man sich nicht für die klassische Tanka-Form, sondern noch für die in unserem Kulturkreis tief verwurzelte Sonett-Form. Heute sind die einzelnen Texte von unterschiedlicher Länge und eher als lyrische Prosa zu bezeichnen. Das Experiment Renshi führt heute auch absichtlich in erster Linie Dichter zusammen, die nicht der klassischen Renga/Renku-Dichtung anhängen und die die japanische Kurzlyrik nicht in das Zentrum ihrer Arbeiten gestellt haben.
Aus den klassischen Vorbildern, aus der Tradition der Renku-Ketten, wenn mir dieser Pleonasmus erlaubt ist, hat man eigentlich nur ein wesentliches Element isoliert, das ist die Form der Verknüpfung, dass als ein Gegengift gegen die Begriffe „Ich", „Autor", „Originalität" oder „intellektuelles Eigentum" wirken sollte. Klopfenstein zitiert Octavio Paz:
„ Es braucht wohl kaum darauf hingewiesen zu werden, dass wir nicht die Absicht hatten, uns eine literarische Gattung anzueignen, sondern dass es eher darum ging, ein System zur Hervorbringung poetischer Texte funktionieren zu lassen. Unsere Übersetzung ist also analogisch: es handelt sich nicht um das Renga der japanischen Tradition, sondern um seine Metapher, um einer seiner Möglichkeiten, eines seiner Abenteuer..." Ich stelle dabei zwei Arten von Affinitäten fest: die erste ist das kombinatorische Element, das das renga beherrscht, ein Element, das mit einem der Hauptanliegen des modernen Denkens koinzidiert, von logischen Spekulationen bis hin zu den künstlerischen Experimenten; die zweite, der kollektive Charakter des Spiels, entspricht der augenblicklichen Krise vom Begriff des Autors und dem Streben nach einer kollektiven Dichtung. ..."
Die Verknüpfung der Strophen bei der klassischen Renku-Dichtung erfolgt in dem Sinne, den vorausgegangenen Schritt zu verwischen und stellt somit auch das Ich, den jeweiligen Autor in Frage. E. Klopfenstein zitiert aus der Haikai-Schrift Shirosôshi (1702):
„ Nach einer Rede des Meisters gleicht zum Beispiel das kasen 36 Schritten. Jeder einzelne Schritt ist frei von dem Wunsch des Zurückkehrens. Man folgt dem Lauf und ändert den Sinn allein aus dem Wunsch vowärtszuschreiten."
Obwohl es eine neue Bewegung der traditionellen Renku-Dichtung gibt, setzt sich doch immer mehr die moderne Kettendichtung durch, die sich von der Kettendichtung der reinen Lehre (Renga/Renku) unterscheidet. Ausgehend von den Experimenten der japanischen Dichtergruppe Kai (Das Ruder) seit den siebziger Jahren und neueren Arbeiten aus den achtziger und neunziger Jahren mit moderner Kettendichtung, Ôoka Makoto war schon seit 1971 dabei, und den Publikationen um Octavio Paz, entwickelten sich über die Jahre folgende Bedingungen und Begriffe der Renshi-Dichtung, die ich hier zusammenfasse:
Renshi Begriff für die moderne Kettendichtung,
ren - miteinander verbundenes Gedicht
shi - im modernen, formal ungebundenen Stil
Persönliche Begegnung mindestens zwei oder mehr Poeten (und Übersetzer) treffen sich an einem gemeinsamen Ort
Teilnehmer Es treffen sich Schriftsteller, die eben nicht durch Tradition und klassisches Regelwerk geprägt sind (im Vergleich zur Renga/Renku-Dichtung)
Sprache einsprachig, mehrsprachig, multikulturell
Motive die zentralen, klassischen Motive, wie Mond, Blüte, Liebe werden nicht mehr zur Strukturierung, sondern - wenn überhaupt - völlig frei im Renshi verarbeitet.
Minimale Geschwindigkeit jeder Autor steht unter einem gewissen Zeitdruck, den er mit seiner Fähigkeit zur spontanen und durch die Situation der persönlichen Begegnung bedingten originellen Kreativität beherrscht. Keine Konkurrenz Teamgeist verbindet die Autoren. Zentrales Anliegen ist der gemeinsame Schaffensprozeß. Respektierung der Verschiedenheit des Mitautors. Anzahl der Kettenglieder frei Strophenform frei, ungebunden, ganz selten die Tanka-Form oder die Sonett-Form.
Anzahl der Verse frei
Metrik des Verses frei
Verknüpfung Der antwortende Poet greift ein Wort des letzen Verses, den vordergründigen Sinn oder die Assoziationen einer weiteren Sinnebene auf, 'riecht' (nach Basho) den Duft der vorangegan- genen Strophe und startet damit das nächste Kettenglied. Auch bewußt dualistische Anschlüsse werden ausprobiert. Dabei werden auch politisch-kulturelle Anspielungen aufgegriffen. Im Verlauf des neuen Kettengliedes wird aber nicht weitererzählt oder gar beim 'Thema' geblieben, sondern es erfolgt ein Wechsel der Assoziationen, eine unerwartete Wendung auf eine neue Thematik. Die Spur des vorangegangenen Schrittes wird verwischt und die ganz persönliche Idee des Folge-Autors zeigt in eine neue Richtung, die wieder ...usw.
In dem Essay „ Moderne Kettendichtung (Renshi), japanisch und international - Eine Zwischenbilanz" von Prof. Eduard Klopfenstein, der bei den meisten Veranstaltungen als Organisator und Übersetzer aus der japanischen Sprache mitwirkte, kann die kurze, aber bedeutsame Geschichte der Renshi-Dichtung nachgelesen werden.
als sich erkenntnis in meinem bewusstsein ausbreitete,
wuchsen fische und meeressäuger aus meinen abgeschnittenen fingern, ich wurde zu nahrung, wurde SIE, die für ihre gemeinschaft sorgt, nicht länger opfer.
(aus der legende von sedna)