Das Markt-Fieber
Heute traf ich kurz vor Ladenschluss meine Nachbarin beim Einkaufen.
„Lisa, dich sieht man ja gar nicht mehr, wo steckst du bloß immer“, rief sie.
Normalerweise treffen wir uns nämlich oft vormittags beim Bäcker oder Metzger oder in der Bank – und plaudern dann ein Weilchen.
„Bald wird der Spuk hoffentlich vorüber sein.“
Margit sieht mich gespannt an. Während wir unsere Einkaufswägen füllen, erzähle ich ihr alles.
„Vor ein paar Wochen hat es angefangen. Ich erinnere mich noch gut. Ich wollte Brezen für die Handwerker kaufen, radelte in den Markt – wie immer jede Geschwindigkeitsbeschränkung ignorierend – da hatte ich mit einem Mal das Gefühl, hohes Fieber zu bekommen. So von Null auf Hundert. Zitternd und schwitzend fummelte ich das Geld aus der Börse, nahm dankbar ein Glas Wasser von der freundlichen Verkäuferin an und radelte, deutlich langsamer, wieder heimwärts. Kaum hatte ich den Markt verlassen, ging es mir schlagartig besser und ich vergaß den Zwischenfall.
Doch am nächsten Tag, ich war gerade dabei, Nageldämmstoffdübel beim Eisenwarenhändler zu besorgen, fing mein Herz wie wild an zu klopfen, mir wurde schwindelig und ich merkte, dass die anderen Kunden im Geschäft mich befremdet ansahen. Ein Blick in den blanken Spaten neben der Eingangstür erklärte alles. Knallrot war mein Kopf, die Nase glänzte und die Haare hingen mir strähnig in die Stirn.
Und wieder war alles in Ordnung, nachdem ich auf der Rückfahrt das Ortschild passiert hatte...“
Margit legte ihre Hand auf meine Schulter und sah mich mitleidig an.
„Ja“, fuhr ich fort, „ich war dann doch allmählich beunruhigt. Weil ich so verwirrt war, hatte ich vergessen, die Eier beim Bauern mitzunehmen. Gut, dass ich die kurze Strecke zu Fuß zurücklegte. Und noch besser, dass ein paar Meter weiter gleich eine Arztpraxis ist. Denn diesmal traten Fieber und Herzklopfen zusammen auf. Mein Hausarzt konnte sich das auch nicht erklären und machte mit mir einen Termin für den TÜV aus, so nenne ich den Check halt für mich....
Uiuiui, frühmorgens nüchtern aus dem Haus... ganz ohne die geringste Dosis Koffein... ich tappte also ohne Blutdruck und Sehvermögen in die Praxis, überlebte die Blutabnahme wie immer nur knapp – doch fühlte ich mich sonst rundum wohl. Vor allem, nachdem die Sprechstundenhilfe mir eine große Tasse wunderbaren schwarzen Kaffees eingeflößt hatte.
Blutdruck, Herz... alles in bester Ordnung. Vielleicht bin ich momentan einfach überlastet. Der beste Doc aller Zeiten verordnete mir Spaziergänge und gute Bücher und abends ein Glas Wein.“
Margit lachte. „Mensch, den Wein hättest du doch mit mir teilen können! Ach so... war ja streng nach Rezept....“
Ich grinste auch... ja, jetzt kann ich wieder grinsen... ich weiß ja heute mehr als noch vor wenigen Wochen....
„Also, manchmal bin ich eine brave Patientin, deshalb machte ich mich nachmittags auf den Weg um meine Medizin zu besorgen. Kaufte den Wein, eilte zum Buchladen und – da war es wieder. Himmelherrgottnochmal! Ich geriet doch langsam in Panik. Oh nein, es mangelt mir nicht an Vertrauen zu meinem Hausarzt, aber... irgendwas stimmte nicht!!
Am nächsten Morgen kam dann meine Schwiegermutter, um auf der Baustelle mitzuhelfen. Sie schaute mich prüfend an und fand, ich sähe ziemlich schlecht aus. Ich berichtete ihr von den letzten Tagen, da nahm sie mich in den Arm. Au weia, es musste ernst sein... Wusste sie etwas, das ich nicht erfahren hatte? Sofort trat kalter Schweiß auf meine Stirn.
‚Ich meine, du bist zwar noch nicht soooo alt’, sagte sie (danke danke), ‚aber es könnten die Wechseljahre sein....’
Wechseljahre?!?!?!?!!!!
Ich rannte ins Bad. Gut, ich bin 45, aber ich seh doch höchstens wie 43 aus!! Außerdem –
Nein, Schwiegermama musste sich irren.... „
„Entschuldigen Sie bitte, wir möchten gerne zusperren.“
So standen wir dann draußen, während ich meiner Nachbarin den Rest dieser seltsamen Geschichte erzählte. Kurz, denn wir wollten ja den Film um 20.15 Uhr ansehen.... und der Laden schließt um 20.00 Uhr. Was bin ich froh um das neue Ladenschlussgesetz!!! Vor allem jetzt, wo es um diese Zeit schon fast dunkel ist.
Irgendwann war der Zusammenhang zwischen meinen Zuständen und dem Umstand, dass ich mich immer in Nähe des Rathauses aufhielt, nicht mehr zu übersehen. Und dann, wurde es mir schlagartig klar, was da abging. Manipulation übelster Art!!!
Auch wenn wir Informationen unbewusst aufnehmen, sickern sie doch in unser Inneres, nisten dort und – was da ausgebrütet wird, ist nicht unbedingt kontrollierbar.
Drauf gekommen bin ich, als ich das erste Mal genau auf die Plakate sah. Blabla hier und blablablubb dort und ZEIT FÜR DEN WECHSEL!!!!!
„So, liebe Margit – und deshalb ist dann nach der Wahl hoffentlich alles vorbei. Sicherheitshalber werde ich mich aber erst bei Einbruch der Dämmerung auf den Weg machen und vorsichtig überprüfen, ob diese verdammten Plakate auch wirklich weg sind!“