Don Juan begann mit seiner Erklärung. Er skizzierte kurz noch einmal die Wahrheiten über das Bewusstsein, die er mir dargestelt hatte: dass es keine objektive Welt gäbe, sondern nur ein Universum von Energiefeldern, welche die Seher als Emanationen des Adlers bezeichneten. Dass der Mensch aus den Emanationen des Adlers geschaffen und im wesentlichen eine Blase leuchtender Energie sei; jeder von uns sei von einem Kokon umhüllt, der einen kleinen Teil dieser Emanationen einschließe. Dass Bewusstsein durch einen konstanten Druck entstehe, den die Emanationen außerhalb unseres Kokon, genannt die allgemeinen Emanatoonen, auf jede im Innern unsers Kokons ausübten. Dass Bewusstsein zu Wahrnehmung führe, und zwar dann, wenn die Emanationen im Innern des Kokons sich an den entsprechenden allgemeinen Emanationen ausrichten. "Die nächste Wahrheit besagt", fuhr er fort, "dass Wahrnehmung stattfinden kann, weil es in uns eine Wirkkraft gibt, genannt der Montagepunkt, der innere und äußere Emanationen für eine solche Ausrichtig auswählt. Diejenige Ausrichtung, die wir als unsere Welt wahrnehmen, ist abhängig von der jeweiligen Stelle, an der sich der Montagepunkt auf unserem Kokon befindet."
Und er erklärte: Damit unsere Aufmerksamkeit sich auf die Welt, die wir wahrnehmen, konzentrieren könne, müsse sie zuerst gewisse Emanationen hervorheben, die aus jenem schmalen Band der Emanation, in dem das menschliche Bewusstsein sitzt, ausgewählt würden. Die vernachlässigten Emanationen seien uns zwar zugänglich, blieben aber latent und uns zeit unseres Lebens unbekannt. Die neuen Seher bezeichneten, wie er sagte, diese hergehobenen Emanationen als die rechtseitige, normale Bewusstheit, das Tonal, diese Welt, das Bekannte, die erste ASufmerksamkeit. Der Durchschnittsmensch nenne sie Realit, Rationalität, gesunden Menschenverstand. Die hervorgehobenen Emanationen machten nun einen großen Teil des Bandes menschlicher Bewusstheit aus, aber nur einen sehr kleinen Teil des ganzen Spektrums der im Innern des menschlichen Kokon vorhandenen Emanationen. Die vernachlässigten Emanationen im menschlichen Band könne man sich als eine Art Vorhof zum Unbekannten vorstellen, wobei das Unbekannte selbst aus der Masse derjenigen Emanationen bestehe, die nicht Bestandteil des menschlichen Bewusstseins seien und auch nie hervorgehoben würden. Diese bezeichnen die Seher, wie er sagte, als die linksseitige Bewusstheit, das Nagual, die andere Welt, das Unbekannt, die zweite Aufmerksamkeit.
Eine der wichtigsten Errungenschaften der neuen Seher, so betonte er, sei die Entdeckung gewesen, dass die Lokalisierung des Montagepunktes an einer bestimmten Stelle auf dem Kokon aller Lebewesen kein unabänderliches Merkmal, sondern nur durch Gewohnheit auf diese Stelle festgelegt sei. Daher auch die große Bedeutung, die die neuen Seher neuen Verhaltensweisen, neuen Praktiken beilegten. Sie seien verzweifelt bemüht, neue Gepflogenheiten, neue Gewohnheiten zu finden.
"Der Montagepunkt des Menschen erscheint an einer bestimmten Stelle des Kokon, weil der Adler es so befiehlt. Aber der genaue Sitz dieses Punktes ist durch Gewohnheit bestimmt, durch wiederholte Handlungen. Zuerst lernen wor, dass er an dieser Stelle sitzen kann, und dann befehlen wir selbst ihm, an dieser Stelle zu sitzen. Unser Befehl wird zum Befehl des Adlers, und der Punkt wird an dieser Stelle fixiert. Bedenke dies sehr genau; unser Befehl wird zum Befehl des Adlers."
"Was geschieht mit Leuten, deren Montagepunkt seine starre Fixierung verliert?" fragte ich. "Falls sie keine Krieger sind, glauben sie, den Verstand zu verlieren. Genau wie du einmal glaubtest, du würdest verrückt. Wenn sie aber Krieger sind, wissen sie, dass sie verrückt geworden sind, aber sie warten geduldig ab. Bei gesundem Verstand zu sein, weißt du, bedeutet, dass der Montagepunkt beweglich ist. Wenn er sich verschiebt, bedeutet es buchstäblich, dass man ver-rückt ist." "Was aber, wenn der Montagepunkt nicht in seine Ausgangslage zurückkehrt?" "Dann sind die Betreffenden verloren. Sie sind entweder verrückt, denn ihr Montagepunkt kann nie mehr die Welt zusammensetzen, wie wir sie kennen, oder sie sind Seher ohnegleichen, die ihre Reise zum Unbekannten angetreten haben." "Was entscheidet darüber, ob das eine oder das andere geschieht?" fragte ich. "Energie! Makellosigkeit! Makellose Krieger verlieren nicht den Verstand. Sie bleiben gelassen. Wie oft habe ich dir gesagt, dass makellose Krieger zuweilen erschreckende Welten sehen, und doch können sie im nächsten Moment einen Witz erzählen und mit ihren Freunden lachen, oder auch mit Fremden."
Die neuen Seher hätten bemerkt, sagte Don Juan, dass gewisse zwanghafte Visionen des Sehers - und gerade die allerunglaublichsten - zusammenfallen mit einer Verschiebung des Montagepunktes an einer Stelle des menschlichen Bandes, die seiner üblichen Position diametral gegenüberliege. "Dies sind Visionen von der dunklen Seite des Menschen", beteuerte er. "Warum nennst du es die dunkle Seite des Menschen?" "Weil sie düster und unheilverkündend ist. Es ist nicht nur das Unbekannte, sondern das Was-niemand-wissen-will." "Wie aber steht es mit den Emanationen, die im Innern des Kokon, aber außerhalb des menschlichen Bandes liegen? Sind sie wahrnehmbar?" "Ja, aber auf ganz unbeschreibliche Weise. Sie sind nicht das menschliche Unbekannte, wie es die ungenutzten Emanationen im Band des Menschen sind, sondern sie sind das ganz unermeßliche Unbekannte, wo es überhaupt keine Spur des Menschlichen gibt. Dies ist tatsächlich ein Bereich von so überwältigender Weite, dass es auch den besten Sehern schwerfiel, diese zu beschreiben." Ich beharrte noch einmal auf meiner Auffassung, dass das Geheimnis doch eher in uns selbst liege. "Das Geheimnis ist außerhalb von uns. In uns haben wir nur Emanationen, die bestrebt sind, den Kokon aufzubrauchen. Und diese Tatsache leitet uns auf mancherlei Weise in die Irre, ganz gleich, ob wir Durchschnittsmenschen oder Krieger sind. Nur die neuen Seher sind dem gewachsen. Sie bemühen sich, zu SEHEN. Und durch die Verschiebung ihres Montagepunktes gelangen sie zu der Erkenntnis, dass das Geheimnis im Wahrnehmen selbst liegt. Nicht so sehr in dem, was wir wahrnehmen, sondern in dem, was uns wahrzunehmen befähigt. Die neuen Seher glauben, wie ich dir schon sagte, dass unsere Sinne fähig sind, alles aufzunehmen. Sie glauben dies, weil sie SEHEN, dass es der Montagepunkt ist, der vorschreibt, was unsere Sinne wahrnehmen. Wenn der Montagepunkt Emanationen im Inneren des Kokon in einer anderen Position als seiner üblichen ausrichtet, sind die Sinne des Menschen fähig, auch das Unvorstellbatrste wahrzunehmen."
(aus "Das Feuer von innen")
"Denn die Kunst eines Kriegers ist es, den Schrecken ein Mensch zu sein und das Wunder ein Mensch zu sein, in Gleichgewicht zu halten." (Don Juan)
"Es ist das beste, die ganze persönliche Geschichte auszulöschen", sagte Don Juan langsam, als wollte er mir Zeit geben, sorgfältig mitzuschreiben, "weil uns das von den belastenden Gedanken der anderen befreit." Ich konnte nicht glauben, dass er dies wirklich sagte. Einen Moment war ich sehr verwirrt. Er musste mir meinen inneren Aufruhr vom Gesicht abgelesen haben, und sogleich hakte er ein: "Sieh dich an, zum Beispiel", fuhr er fort. "Du weißt im Augenblick nicht, woran du bei mir bist. Und das liegt daran, dass ich meine persönliche Geschichte ausgelöscht habe. Nach und nach habe ich einen Nebel um mich und mein Leben erzeugt, und jetzt weiß niemand mit Sicherheit, wer ich bin und was ich tu."
"Die eigene Wichtigkeit verlieren"
"Setz dich hin", sagte Don Juan gebieterisch. "Du bist eingeschnappt wie ein altes Weib. Du kannst jetzt nicht gehen, denn wir sind noch nicht fertig." Er fing an, ein blödsinniges mexikanisches Volkslied zu singen. Offenbar ahmte er irgendeinen populären Sänger nach. Er dehnte manche Silben und verkürzte andere und machte so das Lied zu einer höchst lächerlichen Darbietung. Es war komisch, dass ich schließlich lachen musste. "Siehst du, du lachst über das blöde Lied", sagte er. "Aber der Mann, der es auf diese Weise singt, und diejenigen, die bezahlen, um ihm zuzuhören, lachen nicht, sie nehmen es sehr ernst." "Was willst du damit sagen?" fragte ich. Ich glaubte, er habe sich absichtlich dieses Beispiel ausgedacht, um mir zu sagen, dass ich über die Krähe gelacht hätte, weil ich sie ebensowenig ernst genommen hätte wie das Lied. Aber wieder verblüffte er mich. Er sagte, ich wäre wie der Sänger und die Leute, die seine Liebe liebten, eitel und todernst angesichts eines Unfugs, auf den niemand, der recht bei Sinnen ist, etwas geben kann. "Du nimmst dich zu ernst", sagte er. "Du bist in deinen Augen so verdammt wichtig. Das muss sich ändern. Du bist so gottverflucht wichtig, dass du glaubst, das Recht zu haben, an allem Anstoß zu nehmen. Du bist so verdammt wichtig, dass du es dir leisten kannst, abzuhauen, wenn nicht alles so läuft, wie du es willst. Mir scheint, du glaubst damit zu beweisen, dass du Charakter hast. Das ist Unsinn! Du bist schwach und eingebildet." Ich versuchte, einen Einwand vorzubringen, aber er ließ nicht locker. Er wies darauf hin, dass ich wegen dieser übertriebenen Wichtigkeit, die ich mir beimaß, im Lauf meines Lebens nie etwas zu Ende gebracht hätte. "Die eigene Wichtigkeit ist auch etwas, das man aufgeben muss, wie die persönliche Geschichte", sagte er sehr eindringlich.
"Die Routine des Lebens unterbrechen"
Wir suchten einige Stöcke zusammen und begannen, die Fall zu bauen. Ich hatte meine beinah fertig und war gespannt, ob sie funktionieren würde, als Don Juan plötzlich innehielt, auf sein linkes Handgelenk schaute, als sehe er auf die Uhr, obwohl er nie eine besessen hat, und sagte, dass es nach seinem Chronometer Mittagszeit sei. Ich hielt gerade eine lange Gerte in der Hand, die ich zu einem Reifen biegen wollte. Automatisch legte ich sie zu den übrigen Jagdutensilien auf den Boden. Don Juan sah mich neugierig an. Dann ahmte er den heulenden Ton einer Fabrikssirene nach, die zur Mittagszeit bläst. Ich lachte. Sein Sirenenton war perfekt. Ich ging auf ihn zu und stellte fest, dass er mich anstarrte. Bedächtig schüttelte er den Kopf. "Ich will verflucht sein", sagte er. "Was ist los?" fragte ich. Wieder ahmte er den langen, klagenden Ton einer Fabrikssirene nach. "Die Pause ist um", sagte er. "Geh wieder an die Arbeit." Einen Augenblick war ich verblüfft, aber dann meinte ich, er machte Witze, vielleicht, weil wir tatsächlich nichts hatten, um eine Mahlzeit zuzubereiten. Im nächsten Moment blies Don Juan seine 'Sirene' erneut. "Feierabend", sagte er. Er blickte auf seine Phantasieuhr, sah mich an und zwinkerte mir zu. "Es ist fünf Uhr", sagte er mit einer Miene eines Menschen, der ein Geheimnis verrät. Ich glaubte, er sei der Jagd plötzlich überdrüssig und wollte die ganze Sache abblasen. Ich warf alles hin und fing an, mich für den Aufbruch vorzubereiten. "Ich bin fertig. Wir können jederzeit gehen", sagte ich. Don Juan stand auf und kletterte auf einen Felsen. Dort stand er, etwa zwei Meter über dem Boden und sah mich an. Er legte die Hände seitlich an den Mund und brachte einen langen, durchdringenden Ton hervor. Es klang wie eine überdimensionale Fabrikssirene. Er drehte sich einmal im Kreis herum, wobei er diesen klagenden Ton ausstieß. "Was tust du da, Don Juan?" fragte ich. Er sagte, er gebe der ganzen Welt das Zeichen zum Heimgehen.
"Du hältst mich für verrückt, nicht wahr?" sagte er. Ich sagte, er habe mir mit seinem unberechenbaren Verhalten sinnlose Angst eingejagt. Er entgegnete, wir seien jetzt quitt. Ich verstand nicht, was er damit meinte. Er erklärte, er habe absichtlich versucht, mir durch die Wucht seines unvorhersehbaren Verhaltens einen gehörigen Schrecken einzujagen, weil ich selbst ihn durch die Wucht meines vorhersehbaren Verhaltens um den Verstand brächte. Meine Routinegewohnheiten seien ebenso verrückt wie sein Nachahmen der Sirene. "Alles, was du tust, ist Routine. Du machst dir über das Mittagessen Sorgen. Du sorgst dich jeden Tag gegen Mittag um das Essen, und gegen sechs Uhr abends und gegen acht Uhr morgens. Du sorgst dich zu diesen Zeiten auch um das Essen, wenn du nicht hungrig bist. Ich brauche nur meine Sirene zu blasen, um dein Routinedenken deutlich zu machen. Dein Denken ist darauf trainiert, nach einem Signal zu arbeiten."
"Ein Jäger sein bedeutet nicht nur, das Wild in der Falle zu fangen. Ein Jäger, der sein Salz wert ist, fängt das Wild nicht deshalb, weil er seine Fallen aufstellt oder weil er die Routine seiner Beute kennt, sondern weil er selbst keine Routine hat. Das ist sein Vorteil. Er ist ganz anders als die Tiere, denen er nachstellt, die an feste Gewohnheiten und berechenbare Routinetricks gebunden sind. Er ist frei, beweglich, unberechenbar. Um ein Jäger zu sein, musst du die Routine deines Lebens unterbrechen. Du hast die Gewohnheiten der Tiere in der Wüste beobachtet. Sie fressen und trinken an bestimmten Plätzen, sie bauen an bestimmten Plätzen ihr Nest, sie hinterlassen auf bestimmte Art ihre Spuren. Wie ich dir schon sagte, verhälts du dich meiner Meinung nach wie deine Beute. Einmal in meinem Leben hat auch mir jemand dasselbe gesagt. Du bist also in dieser Hinsicht nicht einmalig. Wir alle verhalten uns wie die Beute, der wir nachstellen. Das macht uns natürlich auch zur Beute für jemand oder etwas anderes. Nun muss ein Jäger, der alles weiß, sich darum bemühen, nicht mehr Beute zu sein. Siehst du, was ich meine?"
"Aber du selbst weißt doch, wer du bist, nicht wahr?" warf ich ein. "Verlass dich drauf? Ich...weiß es nicht!!" rief er und wälzte sich, über mei überraschtes Gesicht, auf dem Boden. "Das ist das kleine Geheimnis, das ich dir heute anvertrauen will. Niemand kennt meine persönliche Geschichte. Niemand weiß, wer ich bin oder was ich tu. Nicht mal ich selbst."
"Wie soll ich wissen, wer ich bin, wenn ich all das bin?" sagte er und wies mit einer Kopfbewegung auf die Umgebung. "Nach und nach musst du einen Nebel um dich her schaffen, du musst alles um dich her auslöschen, bis nichts mehr erwiesen, als sicher oder wirklich gelten kann. Dein Streben ist zu wirklich. Deine Stimmungen sind zu wirklich. Du solltest die Dinge nicht für erwiesen halten. Du musst beginnen, dich selbst auszulöschen."
(aus "Die Reise nach Ixtlan")
"Denn die Kunst eines Kriegers ist es, den Schrecken ein Mensch zu sein und das Wunder ein Mensch zu sein, in Gleichgewicht zu halten." (Don Juan)
Taisha ist eine Mit-Zauberin aus Castanedas "Krieger-Clan". Dazu gehört auch Florinda Donner-Grau, deren Buch "Traumwache" ich euch seeehr empfehlen kann!
"Denn die Kunst eines Kriegers ist es, den Schrecken ein Mensch zu sein und das Wunder ein Mensch zu sein, in Gleichgewicht zu halten." (Don Juan)
liebe wölfin, ich hab dir ein irre langes posting geschrieben und hab`s aus versehen wieder gelöscht.... grrrr... naja, ich werd`s nochmal schreiben müssen. aber erstmal herzlich willkommen hier, du bist ne echte bereicherung, castaneda gehört da natürlich voll dazu- ich dank dir für deine einträge. und ich werd mich nochmal an die arbeit machen. hofentlich krieg ich das jetzt nochmal so hin... wollte wohl noch was dazu, oder was weg- keine ahnung. wird schon seinen sinn haben.
alles liebe dir,
sedna als sich erkenntnis in meinem bewusstsein ausbreitete, wuchsen fische und meeressäuger aus meinen abgeschnittenen fingern, ich wurde zu nahrung, wurde SIE, die für ihre gemeinschaft sorgt, nicht länger opfer. (aus der legende von sedna)
Meine zweite Begegnung mit Don Juans Kriegern war ebenso sorgsam arrangiert wie die erste. Eines Tages ließ Don Juan mich auf die andere Bewusstheitsebene überwechseln und sagte mir, dass ich eine zweite Verabredung hätte. Vor dem Frühstück gingen wir zur Plaza und setzten uns auf eine Bank. Don Juan sagte mir, ich solle dort sitzenbleiben und auf ihn warten, während er einige Besorgungen machte. Er ging fort, und kurz nachdem er gegangen war, kam eine Frau und setzte sich ans andere Ende der Bank. Ich beachtete sie nicht weiter und begann eine Zeitung zu lesen. Einen Augenblick später gesellte sich eine andere Frau zu ihr. Ich wandte den Frauen den Rücken zu und hatte sogar schon vergessen, dass sie überhaupt da waren - denn sie waren so still - , als ein Mann vor mir stehen blieb und sie begrüßte. Aus ihrem Gespräch wurde mir klar, dass die Frauen auf ihn gewartet hatten. Der Mann entschuldigte sich für sein Zuspätkommen. Offenbar wollte er sich hinsetzen. Ich rückte zur Seite, um ihm Platz zu machen. Er dankte mir überschwänglich und entschuldigte sich dafür, dass er mir Unannehmlichkeiten bereite. Er stand auf uns stellte sich vor. Er sagte, er heißt Vivente Medrano und sei nur für diesen einen Tag geschäftlich hier. Dann wied er die zwei Frauen und sagte, es wären seine Schwestern. Die ältere hieß Carmela, die jüngere Hermelinda. Ich stand auf und schüttelte ihnen kurz die Hand. Ich fragte sie, ob sie Kinder hätten. Diese Frage war für mich immer die sicherste Eröffnung eines Gesprächs. Der Mann erklärte mir ruhig, dass sie alte Jungfrauen seien und er selbst ein alter Junggeselle. In halb scherzenden Ton vertraute er mir an, dass seine Schwestern unglücklicherweise zu männlich seien, dass ihnen die Weiblichkeit fehle, die eine Frau begehrenswert macht, und dass sie daher keine Ehemänner gefunden hatten. Ich sagte, um so besser für sie, wenn man an die untergeordnete Rolle der Frau unserer Gesellschaft dächte. Die Frauen widersprachen mir; sie sagten, sie hätten nichts dagegen einzuwenden gehabt, Dienerinnen zu sein, wenn sie nur Männer gefunden hätten, die ihrer Herr sein wollen. Der Mann bemerkte mit einem Seufzer, ihr Vater sei so dominierend, dass er auch ihn daran gehindert habe zu heiraten, indem er es absichtlich unterließ, ihn das Verhalten eines Macho zu lehren. Alle drei seufzten und blickten düster drein. Nach langem Schweigen setzten wir uns wieder und der Mann sagte, dass ich, wenn ich noch ein wenig auf dieser Bank sitzenbleibe, Gelegenheit haben würde, ihren Vater kennenzulernen, der für sein fortgeschrittenes Alter noch immer sehr guter Dinge sei. In schüchternen Ton fügte er hinzu, ihr Vater werde sie zum Frühstück ausführen, denn sie selbst hätten nie Geld bei sich. Ihr Vater habe die Hand auf dem Geldbeutel. Ich war entgeistert. Diese alten Leutchen, die so stark wirkten, waren in Wirklichkeit schwache, abhängige Kinder. Ich sagte ihnen Aufwiedersehen und stand auf, um zu gehen. Der Mann und seine Schwestern beharrten darauf, ich solle bleiben. Sie versicherten mir, dass ihr Vater erfreut wäre, wenn ich mit ihnen zum Frühstück käme. Ich wollte ihren Vater nicht kennenlernen, und doch war ich neugierig. Ich erzählte ihnen, dass auch ich auf jemanden warte. Plötzlich fingen die Frauen zu kichern an und brachen dann in ein brüllendes Gelächter aus. Auch der Mann lachte hemmungslos heraus. Ich kam mir blöde vor. Ich wollte fort. In diesem Augenblick tauchte Don Juan auf, und ich durchschaute ihr Manöver. Ich fand es nicht sehr spaßig. Alle standen wir auf. Sie lachten noch immer, während Don Juan mit sagten, dass diese Frauen der Osten seien, dass Carmela die Pirscherin und Hermelinda die Träumerin sei, dass Vicente der Krieger-Gelehrte und sein ältester Gefährte sei. Als wir die Plaza verließen, schloss sich noch ein Mann uns an. Ein großer, dunkelhäutiger Indianer, vielleicht etwas über 40 Jahre. Don Juan stellte ihn mir vor. Er sagte, er heiße Juan Tuma und sei Vicentes Kurier und Forschungsassistent.
"Denn die Kunst eines Kriegers ist es, den Schrecken ein Mensch zu sein und das Wunder ein Mensch zu sein, in Gleichgewicht zu halten." (Don Juan)
Bei meiner nächsten Begegnung mit Don Juans Welt lernte ich den Westen kennen. Er machte mich auch darauf aufmerksam, dass es ein anstrengendes Ereignis werden würde, besonders für mich, der ich so steif sei und mich so wichtig nähme. Er sagte, dass man sich dem Westen in der Abenddämmerung nähern müsse, einer Tageszeit, die schon an sich schwierig genug sei, und dass seine Kriegerinnen das Westens sehr stark, verwegen und regelrecht verrückt seien. Don Juan empfahl mir, äußerste Vorsicht und Geduld walten zu lassen; nicht nur seinen Frauen toll und verrückt, sondern sie und der Mann seien die mächtigsten Krieger, die er kannte. Sie seien, wie er meinte, die höchste Autorität in Dingen der zweiten Aufmerksamkeit. Eines Tages beschloss er, anscheinend unvermittelt, dass es Zeit sei, sich auf die Reise zu machen, um die westlichen Frauen zu besuchen. Wir fuhren in eine Stadt im Norden Mexikos. Bei Anbruch der Dämmerung hieß mich Don Juan bor einem großen unbeleuchteten Haus am Rande dieser Stadt anhalten. Wir stiegen aus und gingen zur Haustür. Don Juan klopfte ein paarmal an. Niemand machte auf. Ich hatte das Gefühl, wir wären zur falschen Zeit gekommen. Das Haus schien leer. Don Juan klopfte weiter, bis er anscheinend müde wurde. Er bedeutete mir, ich solle weiter klopfen. Nach scheinbar endlosem Warten begann die Tür sich langsam zu öffen. Eine unheimlich wirkende Frau streckte den Kopf heraus und fragte mich, ob ich die Absicht hätte, die Tür einzuschlagen oder die Nachbarn und ihre Hunde aufzuwecken. Don Juan trat vor und wollte etwas sagen. Die Frau kam heraus und schob ihn mit einer kräftigen Bewegung beseite. Sie fuchtelte mit dem Finger vor meinem Gesicht und schrie, ich benähme mich, als gehörte mir die ganze Welt, als gäbe es außer mir niemanden. Ich protestierte und meinte, ich hätte nur getan, was Don Juan mir aufgetragen hatte. Die Frau fragte immer wieder, ob mir vielleicht aufgetragen wurde, die Tür einzuschlagen. Don Juan versuchte sich einzumischen, wurde aber immer wieder beiseite geschoben. Die Frau sah aus, als sei sie gerade aus dem Bett gestiegen. Sie war ganz in Unordnung. Unser Klopfen hatte sie vermutlich geweckt, und sie hatte wohl rasch ein Kleid aus ihrem Wäschekorb übergestreift. Sie war barfuß. Ihr Haar war ergraut und schrecklich zerzaust. Sie hatte rote Knopfaugen. Sie war eine häßliche Frau, aber irgendwie sehr eindrucksvoll. Die Frau öffnete die Tür zu einem sehr großen Zimmer, beinahe leer bis auf zwei alte Lehnsessel in der Mitte, unter der schwächsten Glühbirne, die ich je gesehen hatte. In einem anderen Sessel saß eine andere Frau. Die erste Frau setzte sich auf eine kleine Strohmatte am Boden und stützte sich mit dem Rücken gegen den anderen Sessel. Sie zog die Schenkel gegen die Brust an und entblößte sich völlig; sie trug keine Unterhosen. Ich starrte sie verblüfft an. In häßlichem Ton fragte mich die Frau, warum ich ihre Vagina anstarre. Ich wusste nicht, was ich antworten sollte, und stritt die Tatsache einfach ab. Sie stand auf und schien in Begriff mich zu schlagen. Ich fühlte mich gedemütigt. Ich fand, dass Don Juan etwas unternehmen sollte, um mir diese Demütigung zu ersparen. Ich erinnerte mich daran, dass er mir gesagt hatte, diese Frauen seien toll und verrückt. Er hatte noch untertrieben; die eine war jedenfalls reif fürs Irrenhaus. Die Frau legte sich auf den Rücken, zog ihren Rock hpch und befahl mir, nach Herzenslust hinzuschauen, statt verstohlene Blicke zu werfen. Nach dem Hitzegefühl in meinem Kopf, meinem Hals zu urteilen, musste ich hochrot im Gesicht sein. Die Frau, die bis dahin ruhig im Sessel gesessen hatte, stand plötzlich auf, packte die andere an den Haaren und zog sie - anscheinend mühelos - mit einer einzigen Bewegung auf die Füße. Sie starrte mich aus halb geschlossenen Augen an. Sie kam bis auf ein paar Zentimeter an mein Gesicht heran. Sie roch überraschend frisch. Mit schriller Stimme sagte sie, wir sollten endlich zur Sache kommen. Beide Frauen drangen jetzt unter dem Licht der Glühbirne auf mich ein. Sie sahen einander nicht ähnlich. Die zweite Frau war älter oder wirkte jedenfalls älter. Ich bemerkte, dass ihr Gesicht mit einer dicken Puderschicht überdeckt war, was ihr das Aussehen eines Clowns gab. Ihr Haar war sauber zu einem Knoten zusammengefassß. Sie wirkte ruhig, bis auf ein dauerndes Zittern ihrer Unterlippe und ihres Kinns. In der Art wie sie mich musterten, lag eine unleigbare Ähnlichkeit. Die ältere Frau nickte mit dem Kopf, und Don Juan sagte mir, sie heiße Zuleica und sei eine Träumerin. Die Frau, die uns die Tür geöffnet hatte, hieß Zoila, und sie war eine Pirscherin. Zuleica führte uns schweigend zum Patio hinaus. Sie flüsterte mir zu, dort sei ein Mann, der mich erwarte. Im Patio herrschte tiefschwarze Nacht. Ich konnte kaum die Umrisse der anderen erkennen. Dann sah ich die dunkle Silhouette eines Mannes, der ein paar Fuß von mir entfernt stand. Unwillkürlich fuhr ein Schock durch meinen Körper. Don Juan sagte zu mir, der Mann heiße Silvio Manuel, und er sei der Krieger der Dunkelheit und der Führer des Kriegertrupps. ...Ich konnte die dunkle Silhouette einer Frau erkennen, die in der Mitte des Patio stand. Don Juan murmelte etwas und sagte mir, dass sie eine südliche Frau sei. Sie heiße Marta, und sei sei der Kurier der westlichen Frauen. ...Marta, Don Juan und ich standen in der Dunkelheten und sprachen lange miteinander. Marta erzählte uns in einem Ton, als offenbare sie uns ein Geheimnis, dass Zoilas Haar deswegen so zerzaust aussah, weil mindestens ein drittel davon Zuleicas Haar ist. Die Sache hatte sich so zugetragen, dass die beiden einander in einer freundschaflichen Anwandlung beim Frisieren geholfen haben. Zuleica flocht Zoilas Haar zu einen Zopf, wie sie es schon unzählige male getan hatte, nur dass sie diesmal geistesabwesend einen Teil ihrer eigenen Haare mit Zoilas Haar verflocht. Als sie nun aufstehen wollte, so erzählte Marta, brach eine denkwürdige Rauferei zwischen ihnen aus. Sie wollten ihnen zuHilfe eilen, aber als sie ins Zimmer kam, hatte Zuleica schon die Oberhand gewonnen, und da sie an diesem Tag klarer bei Sinnen war als Zoila, hatte sie beschlossen, den in ihren Zopf eingeflochtenen Teil von Zoilas Haaren abzuschneiden. Aber in dem sich entwickeltenden Handgemenge vertat sie sich und schnitt statt dessen ihr eigenes Haar ab.
Eine der angenehmsten Überraschungen unserer Interaktion war für mich die Verwandlung von Zuleica und Zoila, die so abscheulich gewesen waren. Sie erwiesen sich als die vernünftigsten und schönsten Kriegerinnen, die man sich vorstellen kann. Ich wollte meinen Augen nicht trauen, als ich sie wiedersah. Ihr Wahnsinnsanfall war vorüber. Sie sahen aus wie zwei gutgekleidete mexikanische Damen, groß, dunkelhäutig, mit strahlenden schwarzen Augen, die wie glänzende, schwarze Obsidianperlen aussahen.
"Denn die Kunst eines Kriegers ist es, den Schrecken ein Mensch zu sein und das Wunder ein Mensch zu sein, in Gleichgewicht zu halten." (Don Juan)
Meine letzte einführende Begegnung mit Don Juans Kriegern galt dem Norden. Don Juan nahm mich mit in die Stadt Guadalajara, wo diese Zusammenkunft stattfinden sollte. Er sagte, dass wir unsere Verabredung um 12 Uhr Mittags einhalten müssten, weil der Norden der Mittag sei. Wir verließen gegen 11 Uhr das Hotel und schlenderten sorglos durch die Innenstadt. Er sagte, wir hätten nur eine kurze Strecke vom Zentrum der Stadt zu gehen. Ich war in meine Gedanken an die bevorstehende Zusammenkunft vertieft, und so stieß ich frontal mit einer Dame zusammen, die aus einem Laden gestürmt kam. Sie trug verschiedene Päcklchen, die nach unserem heftigen Zusammenstoß über den Boden verstreut lagen. Ich entschuldigte mich und begann ihr zu helfen, sie aufzusammeln. Don Juan drängte, ich solle mich beeilen, weil wir uns sonst verspäten würden. Die Dame wirkte wie betäubt. Ich hielt sie am Arm. Sie war eine sehr schlanke große Frau, vielleicht an die 60, und sehr elegant gekleidet. Sie schien eine Dame von gesellschaftlichen Rang zu sein. Sie hatte ausgesucht gute Manieren und nahm selbst die Schuld an dem Zusammenstoß auf sich. Sie sei so zerstreut gewesen, sagte sie, weil sie ihiren Diener nicht finden konnte. Sie fragte mich, ob ich ihr nicht helfen könnte, ihn in der Menge ausfindig zu machen. Ich drehte mich nach Don Juan um; er meinte, nachdem ich sie beinahe umgebracht hätte, sei es das mindeste, dass ich ihr ein wenig behilflich wäre. Ich nahm die Päckchen auf, und wir gingen in den Laden zurück. Nicht weit entfernt entdeckte ich einen verloren wirkenden Indianer, der dort gänzlich fehl am Platz zu sein schien. Die Dame rief ihn an, und er kam wie ein verlaufenes Hündchen zu ihr gesprungen. Ich meinte, er würde ihr gleich die Hand lecken. Don Juan wartete draußen vor dem Laden auf uns. Er erklärte der Dame, wir seien in Eile, und nannte ihr dann meinen Namen, als wolle er mich ihr vorstellen. Die Dame lächelte höflich und reichte mir ihre Hand. Ich dahcte bei mir, sie mußte in ihrer Jugend eine hinreißende Frau gewesen sein, denn sie war immer noch sehr schön und anziehend. Don Juan wandte sich zu mir um und sagte unvermittelt, sie heiße Nelida, sie sei der Norden und eine Träumerin. Dann schob er mich vor den Diener und sagte, er heiße Genaro Flores, und er sei der Mann der Aktion, der Krieger der Tat in dem Trupp. Ich war sprachlos. Meine Überraschung war total. Alle drei lachten aus vollem Halse. Je größer meine Verlegenheit wurde, desto besser schienen sie sich zu amüsieren. Don Genaro verschenkte die Päckchen an eine Gruppe Kinder. Er erzählte ihnen, dass seine Dienstherrin, die freundliche Dame, die sich gerade unterhielt, die Sachen als Geschenke für sie eingekauft habe; es sei ihre gute Tat für den Tag. Dann schlenderten wir schweigen einen halben Block weiter. Meine Zunge war wie gelähmt. Plötzlich deutete Nelida auf ein geschäft und bar uns, einen Moment zu warten, weil sie rasch ein Päckchen Nylonstrümpfe holen wollte, die dort für sie bereitlägen. Sie sah mich lächelnd, mit leuchtenden Augen an und sagte mir, dass sie - Scherz beseite, Zauberei oder nicht - auf Nylons und Spitzenunterhöschen nicht verzichten könne. Don Juan und Don Genaro lachten wie zwei Idioten. Ich starrte Nelida an, denn ich wusste mir nichts anderes. Sie hatte etwas durchaus Irdisches an sich, und doch wirkte sie fast ätherisch. Dann bat sie Don Genaro höflich, in den Laden zu laufen und die bestellte Ware bei der Verkäuferin abzuholen. Don Genaro schickte sich schon an hineinzugehen, aber im nächsten Augenblick hatte Nelida sich anders besonnen und rief ihn zurück. Er schien sie nicht zu hören und verschwand in dem Geschäft. Sie entschuldigte sich und rannte hinter ihm her. Don Juan legte mir die Hand auf den Rücken, um mich aus meiner inneren Aufruhr zu befreien. Er sagte, dass ich der anderen nördlichen Frau - sie heiße Florinda - ein andermal allein begegnen würde, denn sie sei meine Verbindung zu einem anderen Kreis, einer anderen Stimmung. Er schilderte mir Florinda als die genaue Kopie von Nelida, oder umgekehrt. Ich bemerkte, ich fände Nelida so kapriziös und elegant, dass ich mir vorstellen könnte, sie in einer Modezeitschrift abgebildet zu sehen. Die Tatsache, dass sie so schön und hellhäutig - vielleicht französischer oder norditalienischer Abstammung - war, hatte mich schockiert. Obgleich auch Vicente kein Indianer war, hatte seine bäuerliche Erscheinung irgendwie meine Überraschung gedämpft. Ich fragte Don Juan, wieso auch Nicht-Indianer zu seiner Welt gehörten. Er sagte, dass die Kraft selbst die Krieger für den Trupp eines Naguals auswählt und dass es unmöglich sei, ihre Absichten zu erkennen.
"Denn die Kunst eines Kriegers ist es, den Schrecken ein Mensch zu sein und das Wunder ein Mensch zu sein, in Gleichgewicht zu halten." (Don Juan)
Als Don Juan der Meinung war, dass der rechte Zeitpunkt für meine erste Begegnung mit seinen Kriegern gekommen sei, ließ er mich auf die andere Ebene der Bewusstheit überwechseln. Ich sollte damit anfangen, dass ich mich ihnen von Süden näherte, denn dies sei die Richtung, in die der ununterbrochene Fluß der Kraft verläuft. Die Lebenskraft ließt uns von Süden zu, und wenn sie uns verlässt, fließt sie nach Norden. Er sagte, der einzige Zugang zur Welt eines Naguals sei von Süden her, und die Pforte werde von zwei Kriegerinnen gebildet, die mich begrüßen und mich einlassen würden, falls sie das für gut befänden. Er brachte mich in eine Stadt in Zentralmexiko, zu einem Haus draußen auf dem Land. Als wir uns diesem zu Fuß aus südlicher Richtung näherten, sah ich zwei kräftige Indianerinnen, die sich in Abstand von vier Fuß gegenüberstanden. Sie waren etwa 30 oder 40 Fuß von der Haustür entfernt, an einer Stelle, wo die Erde festgestampft war. Die beiden Frauen waren ungewöhnlich muskulös und wirkten streng. Sie sahen wie Schwestern aus. Don Juan befahl mir, drei Fuß von ihnen entfernt stehen zu bleiben. Er wandte sich der einen Frau zu und hieß mich sie ansehen. Er sagte, sie heiße Cecilia und sei eine Träumerin. Ohne mir Zeit zu einer Bemerkung zu lassen, drehte er sich plötzlich um und befahl mir, die Frau zu unserer Rechten anzusehen. Er sagte, sie heiße Delia und sei eine Pirscherin. Don Juan ging zwischen ihnen hindurch, als wären sie die zwei Pfosten einer Tür. Er ging einpaar Schritte weiter und drehte sich um, als warte er darauf, dass die Frauen mich aufforderten hindurchzugehen. Die Frauen starrten mich eine Weile unverwandt an. Dann bat Cecilia mich einzutreten, so als stünde ich vor der Schwelle einer wirklichen Tür. Don Juan ging vor mir her zum Haus. An der Haustür begegneten wir einem Mann. Er war sehr schlank. Auf dem ersten Blick wirkte er sehr jung, aber bei genauerem Hinsehen zeigte sich, dass er Ende 50 sein mochte. Er machte auf mich den Eindruck eines alten Kindes; klein, drahtig, mit stechenden dunklen Augen. Er war wie ein Elfengeist, ein Schatten. Don Juan stellte ihn mir als Emilito vor und sagte, er sei sein Kurier, sein Helfer und Gehilfe, der mich an seiner Stelle willkommen heißen würde. Wir traten in ein großes Zimmer. Dort war noch eine Frau. Don Juan sagte, sie heiße Teresa und sei Cecilias und Delias Kurier. Sie war Anfang 30; sie sah eindeutig wie die Tochter Cecilias aus; sie war sehr still, aber sehr freundlich. Emilito war der Gastgeber. Er bezauberte und beglückte jedermann mit seinern exotischen Erzählungen. Die Frauen wirkten gelöster. Sie waren großartige Zuhörerinnen für Emilito. Das Lachen der Frauen zu hören war ein köstliches Vergnügen. Emilito untermischte seine Geschichten von der Ewigkeit mit den scheußlichsten schmutzigsten Witzen. Wegen seines unglaublichen Erzählertalents faßte ich jede Geschichte als eine Matapher auf, als ein Gleichnis, durch das er uns zu belehren suchte. Don Juan sagte, dass Emilito lediglich von Dingen erzählte, die er auf seinen Reisen durch die Ewigkeit erlebt habe. Es sei die Aufgabe des Kuriers, wie der Kundschafter eines militärischen Stoßtrupps vor dem Nagual her zu reisen. Emilito sei bis an die Grenzen der zweiten Aufmerksamkeit relangt, und was er unterwegs gesehen habe, teile er nun den anderen mit.
(aus "Die Kunst des Pirschens")
"Denn die Kunst eines Kriegers ist es, den Schrecken ein Mensch zu sein und das Wunder ein Mensch zu sein, in Gleichgewicht zu halten." (Don Juan)