Birke, du schwankende, schlanke, Wiegend am blassgrünen Hag. Lieblicher Gottesgedanke, Vom dritten Schöpfungstag. Börries von Münchhausen.
Die Birke (Betula pendula) Mit einem erreichbaren Lebensalter von 90 bis höchstens 120 Jahren zählt die Hängebirke zu den kurzlebigsten Bäumen unserer Breiten. Das typischste Merkmal für diesen bis zu 25m hoch werdenden Baum ist die glatte weisse „Spiegelrinde“ der jungen Stämme. Die Birke ist ein Kind des Lichts, heiter, unaufdringlich und vor allem raschwüchsig und sie steht im Zeichen des Neubeginns. Der kältetrotzende Baum war der erste, der nach dem Abschmelzen der Eiszeitgletscher die freiwerdenden Böden besiedelte. Mit seiner Hilfe konnten die Steinzeitmenschen überleben. Ausgrabungen zeigen, dass paläolithische Jäger und Sammler ihre Pfeilspitzen und Harpunen mit Birkenteer am Schaft befestigten, Schuhe und Behälter aus Birkenrinde und Kleidung aus Rindenbast herstellten. Auch der jungsteinzeitliche »Ötzi«, den man tiefgefroren in einer Gletscherspalte im Ötztal fand, trug Birkenrindenbehälter bei sich. Wie unsere steinzeitlichen Vorfahren benutzen die Indianer noch heute Birkenrindenbehälter. Ahornsirup hält sich das ganze Jahr in solchen Behältern. In Notzeiten essen sie die Innenrinde, und im Frühling zapfen sie den zuckerhaltigen Saft an, den sie gelegentlich zu einem alkoholischen Getränk vergären lassen. Für die Ojibwa-Indianer ist die Birke noch immer der wichtigste Baum: Sie bedecken ihre Wigwams u. Wohnhütten) und machen alles von Kanus bis Löffel, Teller und Worfeln für den Wildreis aus der Birkenrinde, sogar wasserdichte Eimer und Kochtöpfe. Gekocht wird in den genähten und verharzten Birkenrindentöpfen mit glühend heißen Steinen, die hineingetan werden. In den nordischen Ländern spielte die Birke eine besonders wichtige Rolle. Bei den Letten bedeutet Birke nicht nur den einzelnen Baum, sondern auch Birkenhain, Laubwald und Gehege überhaupt. Holz, Rinde, Wurzeln, Blätter und Knospen, alle Teile des Baumes waren verwendbar.
Birken besitzen die Fähigkeit, den Wasserhaushalt des menschlichen Körpers zu beeinflussen. Tee und Baumsaft regen aufgrund ihres Gehaltes an Flavonen und Saponinen Blase und Niere an, ohne diese zu reizen, und eignen sich besonders als Frühjahrskur. Die Birke ist ein bewährtes Hausmittel gegen Wassersucht, Rheuma, Gicht, Arthritis, Nieren- und Blasensteine. Birkenwein, also vergorenes Birkenwasser, in Russland beliebtes, berauschendes Getränk, soll gegen Impotenz helfen, sozusagen Naturviagra. In der Neuen wie in der Alten Welt setzten Heiler den Kranken kleine glimmende Stückchen des Zunderschwammes als Brennkegel (Moxa, Punk, touchwood) auf schmerzende Stellen. Solche angekohlten Schwammstücke wurden etwa bei Ausgrabungen der Maglemoos-Leute gefunden, die vor zehntausend Jahren in Nordeuropa lebten. Die heilige Hildegard von Bingen greift auf diese steinzeitliche Heilmethode zurück: Bei Rücken-, Glieder- und Eingeweideschmerzen verschreibt sie Brennkegel aus Birkenrinde. Aus der so entstandenen Brandwunde würde das Gift oder der Krankheitsgeist hinausgehen können.
Trotz all diese Vorzüge sollte man sehr sparsam mit dem Anzapfen der Birken sein, denn „Birkenwasser gewinnst Du für einen Groschen und vernichtest den Wald für einen Rubel“, so ein russisches Sprichwort.
„Ich sah in bleicher Silberpracht der Birken Stämme prangen, Als wäre dran aus heller Nacht das Mondlicht blieben hangen.“ Nikolaus von Lenau
Es wird noch ein Weilchen dauern, bis die Birke mit ihren zartgrünen Blättern unser Herz erfreut. Bei den Nord- und Osteuropäern ist sie der Baum der Liebe, des Lebens und des Glücks. Ihre überragende symbolische Bedeutung liegt jedoch im Licht, im Frühjahr, im Neubeginn, weshalb der Maibaum, Sinnbild des Frühlingserwachens, nach alter Tradition ein Birkenbäumchen ist. Auch die Wiege des Neugeborenen baute man nach alter Überlieferung aus Birkenholz. Die Birke ist Wahrzeichen von Estland, aber auch Finnen, Litauen und Polen ehren den Baum als nationales Pflanzensymbol.
An Lichtmess, dem Beginn des frühen Arbeitsjahres im bäuerlichen Leben, wurde das Wiedererwachen des Lichtes mit der Lichtmess-Birke gefeiert.
Im gesamten nordasiatischen Raum ist die Birke eng mit der Kulutrgeschichte der einzelnen Völker verwoben. Bei den Chakasen steht die heilige siebenästige Birke auf einem eisernen Berg in der Mitte des Erdkreises. Die Tataren von Minuinsk huldigen der göttlichen Birke ebenfalls auf einem Berg. Im Schamanismus begegnet der Initiierende in seinen Träumen manchmal „dem Baum, der allen Menschen das Leben geschenkt hat“. Besteigt der Schamane in Trance während der Initiationsriten die Weltenbirke, schneidet er neun Kerben in den Stamm, Symbol für die neun Himmelssphären. Dabei gewinnt er die nötige Kraft, sich einen Weg zu den Göttern zu bahnen, beispielsweise um die Genesung eines Kranken zu erbitten. Aus einem Ast dieses heiligen Baumes muss sich der junge Schamane die Trommel, welche ihm sein Leben lang dienen soll, schnitzen. Beim Schlagen dieser Trommel wird der Trommler magisch zum Ursprungsbaum der Trommel versetzt, zum Weltenbaum, der zugleich der Mittelpunkt der Erde ist. Interessanterweise besteht auch ein Zusammenhang mit dem Fliegenpilz, der wichtigsten Droge der sibirischen Schamanen. Er lebt in Symbiose mit der Birke und ermöglicht dem Schamanen in höhere Welten zu entrücken.
Nicht nur der Baum selbst, sondern auch Teile von ihm wurden und werden als überirdische Werkzeuge benutzt. So der Besen, der ursprünglich viel mehr als ein einfaches Küchentutensil war. In den antiken Heiligtümern galt das Kehren als kultische Handlung, und in buddhistischen und hinduistischen Tempeln wird es heute noch so gehandhabt, Auch der „Hexenbesen“ wurde aus Birkenreiser hergestellt.
Das Leben findet einen Weg