Die Abenteuer des Michael Kaiser und seiner Familie
Es war einmal ein kleiner Junge, der sehr viele Flausen im Kopf hatte. Er hieß Michael Kaiser. Seinen Eltern, Susanne und Georg Kaiser, war es schon manchmal unheimlich, auf welch verrückte Ideen ihr Sprössling kam. Böse sein konnte ihm kaum einer, denn er hatte eine entwaffnend nette Art und es war unmöglich, seinen großen blauen Augen zu widerstehen.
Michael, von seinen Eltern wurde er auch Mike genannt, wuchs heran und besuchte selbstverständlich auch die Schule. Dort sollte er der Meinung seiner Eltern nach gut sein, da er eine sehr schnelle Auffassungsgabe besaß und außerdem intuitiv fast immer die richtigen Schlüsse zog. Anfangs hatte er ja auch gute Noten, nur manchmal trieb er seine Scherze zu weit und verdarb es sich beim Lehrkörper. Seine Mitschüler verstanden ihn teilweise auch nicht und so war er eines Tages als Sonderling verschrieen. Die Klassenarbeiten schrieb er immer gut, nur eben seine mündlichen Zensuren ließen zu wünschen übrig. Wer lässt sich schon gerne vor der ganzen Klasse auf den Arm nehmen? Seine Streiche waren niemals bösartig, sondern zeugten von Wärme und Schlagfertigkeit. Seitdem er bemerkt hatte, dass ein Mal jemand versehentlich durch ihn leicht zu Schaden gekommen war, achtete er sehr darauf, niemanden zu verletzen.
Verkneifen konnte er sich in der Schule so manche Frage nun doch nicht wie etwa: „Woran ist denn das Tote Meer gestorben? Hatte Goethe einen Hund? Können auch Kirschkerne im Kernkraftwerk benutzt werden?“. Besonders das Wort „verschiedene“ hatte es ihm angetan. Einmal sprach ein Lehrer im Biologieunterricht von den verschiedenen Hunderassen und prompt fragte Michael, wo sie denn begraben wären. Die Klasse johlte und schon wieder gab es einen Verweis für ihn. Nebenbei war er gefürchtet, weil er sehr schnell die Schwächen seiner Mitmenschen heraus fand. Er wusste genau wie er wen zu nehmen hatte, benutzte dieses Wissen aber nicht zum Nachteil anderer.
Nach dem Unterricht lief er immer schnell heim und begrüßte fröhlich seine Mutter, die halbtags arbeitete. Danach aß er gemütlich zu Mittag, entspannte sich eine halbe Stunde, schaltete den Computer an, den seine Eltern ihm zum Lernen für die Schule gegeben hatten und erledigte zügig die Hausaufgaben. Freiwillig hatte er seinen Eltern angeboten, jeden Tag zwei Stunden im Haushalt mitzuhelfen. Zuerst war ihnen sein Angebot verdächtig vorgekommen, denn manchmal hatte er etwas gut zu machen aber damit hatte es nichts zu tun. Wenn er etwas verbrochen hatte, entschuldigte er sich schnellstens und bereute sein Verhalten, in dem er eine ihm unangenehme Arbeit zusätzlich auf sich nahm.
Bei den Mädchen wiederum war er beliebt, was die Jungen der Klasse neidisch machte. Am Anfang schimpften sie ihn Weiberheld, später waren sie eifersüchtig auf ihn und verprügelten ihn manchmal. Dabei verteidigte er sich nicht, sondern hielt nur seine Arme schützend vors Gesicht. Keinen Laut gab er von sich und ertrug tapfer die Schläge und Tritte. Als sie ihrer Meinung nach genug auf ihn eingedroschen hatten, ließen sie von ihm ab. Jedes Mal wurde er danach von den Mädchen getröstet und für seine Tapferkeit bewundert. Die Jungen verhöhnten ihn als Weichei, denn wer sich von Mädchen trösten ließ war in ihren Augen nicht vollwertig. Das kümmerte ihn nicht weiter, denn er wusste ja, dass Schwäche Stärke war, wenn er sie offenbarte. Zuerst machte ihn das sehr angreifbar, denn die Anderen meinten anfangs seine Schwächen für sich ausnutzen zu können. Bis sie fest stellten, dass er ihnen dadurch den Wind aus den Segeln genommen hatte. Wenn schon Alles bekannt war, wogegen sollte dann gekämpft werden? All das Verborgene und Verdrängte in einem Menschen will ans Licht. Wer nämlich nur die Schwächen Anderer sieht, übersieht völlig seine eigenen. Wenn Michael gewollt hätte, wäre es leicht für ihn gewesen, ihre wunden Punkte, die sie ängstlich zu verstecken suchten, gegen sie einzusetzen.
Als Erster seines Jahrgangs hatte er eine Freundin, mit der er eine feste Bindung eingegangen war. Sie mochte an ihm seine unglaubliche Ideenvielfalt auf fast allen Gebieten und seine Zärtlichkeit, obwohl er manchmal sehr anstrengend war. Seine Offenheit erschreckte sie immer wieder aufs Neue, denn wer lässt schon fast unbeschränkt einen Partner an seinem Leben Teil haben? Eines Tages erkannten sie, dass sie sich nach ihrem langen Zusammensein zu sehr auseinander entwickelt hatten. Eine Fortführung der Partnerschaft hätte ihnen beiden nur geschadet. Sie trennten sich in beiderseitigem Einvernehmen, hielten den Kontakt aber aufrecht.
Zwischenzeitlich hatte Michael seine Lehre als Tierpfleger beendet und seinen Zivildienst im Krankenhaus angetreten. Ein unwahrscheinlich eingebildeter Oberarzt schikanierte das Personal seiner Abteilung. Bis zu dem Tag, als Michael in diese Abteilung kam. Wie üblich scheuchte er seine Leute und faltete sie beim geringsten Fehler zusammen. Freundlich begrüßte er den Oberarzt: „Guten Morgen, Herr Dr. König. Mein Name ist Michael Kaiser. Ab heute bin ich hier eingeteilt worden.“ Dr. Fritz König schnauzte ihn an: „Schon wieder ein Wehrdienstverweigerer. Diese faulen Hunde sind sich wohl zu schade, um durch den Morast zu robben. Wenn sie nicht sofort an ihre Arbeit gehen, werde ich ihnen Beine machen!“ „Ich denke, hier ist die innere Abteilung und nicht die Chirurgie.“ „Was fällt ihnen ein, mir zu widersprechen? Ich werde Ihnen schon zeigen, wer hier am längeren Hebel sitzt! Ich mache sie so klein, dass sie mit Hut unter der Tür durchlaufen können!“ „Herr Doktor, sie machen mir richtig Angst. Ich zittere schon so sehr, dass ich kaum noch laufen geschweige denn arbeiten kann.“ Rot vor Wut brüllte der Oberarzt: „So was hat noch keiner mit mir gemacht! Ich bin hier derjenige, der das Sagen hat! Sie gehen jetzt sofort in Zimmer 295 und legen dort alle Patienten trocken! Das ist ein Befehl!“ „Jawohl, Herr Hauptgefreiter!“, antwortete Michael und begab sich zu dem besagten Zimmer. „Ich bin Oberarzt, kein daher gelaufener Soldat oder auch Hauptgefreiter sie Urinkellner!“, rief Dr. König ihm hinterher. Im Zimmer befasste sich schon ein anderer Pfleger mit den Patienten: „He, Michael, ich bin Kalle. Sagenhaft, wie du den König rasend gemacht hast. Das hat der dringend gebraucht.“ „Danke aber nenn‘ mich Mike. Eins wundert mich schon.“ „Und was?“ „Wo sind hier eigentlich die Kellner, wenn wir einen Oberarzt haben?“ Kalle brüllte vor Lachen und schüttelte den Kopf: „Du wirst hier noch mächtig Ärger kriegen. Dr. König ist nachtragend und gemein. Wie du mit ihm umgegangen bist, wird er dir nie verzeihen.“ „Das ist sein Problem. Jeder, der sich für etwas Besseres hält, findet irgendwann seinen Meister.“ „Werd‘ bloß nicht größenwahnsinnig.“ „Keine Sorge, ich bin schon oft mit solchen Menschen aneinander geraten und weiß, wie ich mich zu verhalten habe und wie weit ich gehen kann.“ Danach kümmerte er sich intensiv um die Patienten und ließ sich von Kalle alles zeigen, was zu tun war.
Selten war ein Zivildienstleistender bei Patienten und dem Pflegedienst gleichermaßen so beliebt wie Michael. Er hatte für Jeden ein offenes Ohr und half, wo er nur konnte. Dr. König war er hingegen ein Dorn im Auge. Er beobachtete ihn ständig und versuchte ihm dauernd Steine in den Weg zu legen. Geschickt wich Michael allen Fallen aus und blieb ihm gegenüber immer freundlich. Nach dem er wieder einmal aus heiterem Himmel gerügt worden war gab er Widerworte: „Herr Dr. König, wir haben eine Sache gemeinsam. Sie sind Ober und ich Kellner.“ „Sie unverschämtes Stück Dreck! Das war das letzte Mal, dass sie mir unter die Augen getreten sind! Verschwinden sie oder ich sorge dafür, dass sie in den Knast kommen!“ „Bitte mäßigen sie sich. Ich möchte nicht, dass sie meinetwegen Ihre Gesundheit ruinieren. Jeder Wutausbruch schädigt gewaltig ihr Immunsystem ebenso wie Rachegedanken oder Hass.“ „Sie haben von ärztlicher Kunst nicht die geringste Ahnung, sie armes Würstchen und außerdem geht sie mein Immunsystem überhaupt nichts an! Ihretwegen ruiniere ich bestimmt nicht meine Gesundheit aber ihnen werde ich ihre dauernden Unverschämtheiten austreiben!“
Am nächsten Tag herrschte helle Aufregung auf der Station. Einer Krankenschwester war fast 2.000 EURO gestohlen worden. Sie hatte das Geld vom Sparkonto genommen und wollte nach dem Dienst eine neue Sitzgarnitur für ihre Wohnung kaufen. Das Geld war im Tresor der Station deponiert gewesen. Schnell war die Kriminalpolizei zur Stelle und vernahm das anwesende Personal. Keiner hatte etwas gesehen oder bemerkt. Nur Dr. König sagte aus, dass er den Zivildienstleistenden Kaiser dabei beobachtet hätte, wie er etwas in seinem Schrank versteckte hatte. Sofort wurde Michaels Schrank untersucht. Als Michael sah, dass die Polizisten in seinem Schrank das Geld fanden, wurde er fast ohnmächtig. Er konnte nicht glauben, was er gesehen hatte. Unverzüglich wurde er fest genommen und zur Polizeiwache gebracht. Dort gab er zu Protokoll, dass ihn jemand fürchterlich herein gelegt hatte obwohl es unglaublich schien, denn Alles spräche gegen ihn.
Glücklicher Weise wurde er noch am gleichen Tag entlastet. Ein Pfleger der gegenüber liegenden Abteilung hatte durchs Fenster beobachtet, wie sich Dr. König am Tresor zu schaffen gemacht und geöffnet hatte. Anschließend befand sich in seiner linken Hand etwas Dunkles, was wie eine Geldbörse aussah,. Danach hatte er genau gesehen, dass Dr. König mehrere Geldscheine dieser Börse entnahm und dann in einen Schrank legte. Seine Beobachtungen meldete dieser Pfleger der Polizei. Darauf hin wurde das Geld und der Tresor auf Fingerabdrücke untersucht. Michaels Abdrücke wurden nicht entdeckt aber die von Dr. König. Der verweigerte die Aussage und rief sofort seinen Rechtsanwalt an, der bald darauf ankam. Michael wurde wieder zurück gebracht und wollte weiter arbeiten. Dr. König würdigte ihn keines Blickes. Er ging aber auf ihn zu, sah ihn an und sprach mit fester Stimme: „Ich verzeihe ihnen ihre Tat, denn sie waren nicht mehr Herr über sich selber. Ich werde garantiert auch keine Anzeige gegen sie erstatten. Sie haben sich selbst genug bestraft. Hoffentlich ist ihnen das eine Lehre gewesen.“ „Und jetzt erwarten sie von mir, dass ich mich bei ihnen bedanke? Bei einem daher gelaufenen Untergebenen?“ „Nein. Ich sehe nach ihrer gerade gemachten Äußerung nur fürchterlich schwarz für ihr weiteres Leben. Ihre Hass erfüllte Art wird sie umbringen.“ „Belästigen sie mich nicht weiter und gehen sie an Ihre Arbeit.“ Michael wurde traurig über soviel Unbelehrbarkeit und verrichtete weiter seinen Dienst.
Einige Tage darauf erlitt Dr. König einen schweren Herzinfarkt. Ihm war nach dem Vorfall auf der Station von der Krankenhausleitung nahe gelegt worden, sich einen anderen Wirkungskreis möglichst weit weg zu suchen. Er ging darauf ein, kündigte zum Monatsende und nahm Urlaub. Der Infarkt ereilte ihn, als er auf dem Weg zu seinem Arztzimmer grußlos an Michael vorbei gegangen war. Röchelnd brach er zusammen. Sofort rief Michael um Hilfe und kümmerte sich um ihn so gut er konnte. Der Stationsarzt kam mit einem Pfleger angerannt, rief nach einer Trage und leitete die Wiederbelebung ein. Schnellstens wurde Dr. König auf die Intensivstation gebracht. Dort erwachte er nach einer Stunde wieder aus dem Koma. Ihm wurde mitgeteilt, was passiert war und wem er seine Rettung zu verdanken hatte. Er bat Michael zu sich: „Herr Kaiser, vor meinem Zusammenbruch hielt ich sie für einen unwerten Menschen, den zu beachten sich nicht lohnt. Jetzt weiß ich ganz sicher, dass sie größer sind als ich. Wenn mich einer so behandelt hätte wie ich sie, dem hätte ich niemals geholfen. Ich danke ihnen für Alles, was sie für mich getan haben. Eine letzte Bitte, können sie mir verzeihen?“ „Selbstverständlich vergebe ich ihnen. Das sie sich bei mir bedanken, freut mich besonders. Einzig das es erst so weit kommen musste, um bei ihnen einen Sinneswandel hervor zu rufen freut mich nicht. Wiederum bin ich froh, dass ich mit meiner Prognose falsch lag.“ „Mit welcher denn?“ „Na, dass der Hass sie umbringt. Er hat es nicht geschafft. Das bestärkt mich in meiner Meinung, dass in jedem Menschen ein guter Kern ist.“ „Sie Optimist. Wissen sie, was ich mich jetzt frage? Soll ich meine Kündigung zurück nehmen und hier bleiben? Vielleicht kann ich ja von ihnen noch viel lernen.“ „Ich kann ihnen nur vorleben wie ich mit Menschen umgehe. Sie haben viel mehr Intelligenz als ich.“ „Wie konnte ich dann bei so viel Intelligenz so dumm sein? Sie haben mir gezeigt, dass es nicht auf Geld, Wissen oder Ansehen ankommt. Ihnen ist nur der Mensch wichtig sie Humanist. Und jetzt ‘raus hier, ich brauche meine Ruhe.“ „Diesen Befehl befolge ich gern. Gute Besserung Herr Dr. König.“
Am anderen Tag konnte er die Intensivstation schon verlassen und sollte auf die Privatstation gebracht werden. Das lehnte er ab und wollte wie alle anderen Patienten auch behandelt werden. Also wurde er in seine Abteilung verlegt und kam zu zwei anderen Männern ins Zimmer. Dort rief er den Personalsachbearbeiter des Krankenhauses, Herrn Kunze an und bat um eine Unterredung. Kurz darauf kam er ins Zimmer und wollte veranlassen, dass die anderen Patienten es verlassen sollten. Dr. König meinte zu ihm, dass sie ruhig mithören könnten. Zusätzlich bat er Michael zur Besprechung. Als der das Zimmer betrat, wurde er von Herrn Kunze misstrauisch beäugt. Trotzdem begrüßte er ihn höflich: „Guten Morgen Herr Kunze. Was kann ich für sie tun?“ „Guten Morgen Herr Kaiser. Der Herr Dr. König will sie bei unserer Unterredung dabei haben. Ich weiß nicht warum.“ „Das ist schon richtig so Herr Kunze. Ich habe nur einen Wunsch. Kann ich meine Kündigung zurück nehmen?“ „Das kann ich nicht allein entscheiden. Meiner Meinung nach geht die Zurücknahme zwar nicht so ohne Weiteres aber ich werde den Leiter fragen. Sie hören noch heute davon.“ Herr Kunze verließ das Zimmer und begab sich zum Krankenhausdirektor. Michael meinte: „Herr Dr. König, was sollte ich bei diesem Gespräch?“ „Ich brauche zumindest einen Fürsprecher. Sie glauben gar nicht wie ich dem Ruf des Hauses geschadet habe. Schließlich kennen sie meinen Sinneswandel am besten. Vorige Woche hätte ich mich auf meinem hohen Ross bestimmt nicht dazu herab gelassen, mit einem Zivi zu sprechen, außer um ihm Befehle zu erteilen. Sie sind auch daran schuld, dass ich hier liege. Wenn sie nicht auf diese Station gekommen wären, hätte ich mich bestimmt viel weniger aufgeregt und geärgert. Ihr Verhalten ist unmöglich aber es gefällt mir sagenhaft gut. Bleiben sie bitte weiterhin so furchtlos, schlagfertig und ehrlich.“ „Herr Dr., sie machen mich ganz verlegen. Was sollen ihre Zimmergenossen von mir denken?“ Eine Stimme ertönte: „Ganz einfach Mike. Irgendwas ist hier faul. Entweder spinnt der Dr. oder du. Ich tippe nicht auf dich, denn du machst einen normalen Eindruck. Obwohl, der Dr. scheint auch in Ordnung zu sein. Jetzt hab ich’s. Das gehört bestimmt zum neuen Genesungsprogramm -Ich bringe die Patienten zum Lachen, desto eher werden sie gesund- und dann machen sie wieder ein Bett frei. Das ist auch eine Methode zur Gesundung des Gesundheitssystems.“ Alle sahen sich an und lachten.
Nach einer langen Konferenz wurde die Kündigung für nichtig erklärt. Trotz schwerer Bedenken, auch seitens der Belegschaft, blieb Dr. König in der inneren Abteilung. Er war nach seiner Genesung nicht wieder zu erkennen. Freundlich begrüßte er jeden Morgen die Mitarbeiter, übersah manch kleinen Fehler im Schriftkram und behandelte keinen mehr von oben herab. Im Handumdrehen besserte sich das Arbeitsklima und niemand wollte mehr schnellstens die Abteilung wechseln. Ein Mal wäre er fast in seinen alten Trott zurück gefallen aber Michael machte ihn höflich und bestimmt darauf aufmerksam. Erst tat er als hätte er nichts bemerkt, danach bedankte er sich aber dafür.
Am letzten Tag seines Zivildienstes ging Michael zu Dr. König: „Mir reicht ’s! Hier bleibe ich nicht länger. Ab Morgen komme ich nicht mehr.“ „Wie? Habe ich mich falsch verhalten? Moment, sie Schlawiner. Heute ist ihr letzter Dienst. Wie können sie es wagen, einen Oberarzt auf den Arm zu nehmen. Schämen sie sich.“ „Ja, ich bereue meine Missetaten. Soll ich ihnen mal was verraten? Jemanden auf den Arm zu nehmen ist Bodybuilding, das macht unheimlich stark.“ „Verlassen sie sofort mein Zimmer. Wir sprechen uns noch. Das vergesse ich ihnen nicht.“ Beide lachten und Michael verabschiedete sich danach sehr herzlich von ihm.
Nach dem er seinen Zivildienst abgeleistet hatte, nahm er seine Stelle als Tierpfleger im Zoo wieder ein. Diese Arbeit wurde wohl auch schnell zur Routine, er verrichtete sie aber trotzdem gewissenhaft, denn er liebte den Umgang mit Tieren. Einige Wochen später erhielt er einen Brief von Dr. König. Er las ihn und überlegte, was er tun sollte. In dem Brief bat ihn Dr. König, an seiner Geburtstagsfeier anlässlich der Vollendung des fünfzigsten Lebensjahres Teil zu nehmen. Vom Termin her passte es ihm ausgezeichnet nur ob er sich unter so viel geballter Intelligenz wohl fühlen würde war fraglich. Ganz egal dachte er sich, ich gehe hin.
Mit einem Blumenstrauß bewaffnet klingelte er an dem besagten Tag bei König. Frau König öffnete die Tür und begrüßte ihn mit fragendem Gesichtsausdruck. Michael stellte sich vor: „Guten Abend. Mein Name ist Michael Kaiser. Frau König, nehme ich an?“ „Ja.“ „Dann sind die Blumen für sie.“ „Vielen Dank. Gehen sie durch in den Garten, mein Mann erwartet sie schon.“ „Hoffentlich verirre ich mich nicht in ihrem großen Haus.“ „Da hat mein Mann richtig gelegen, er hat mich nämlich vor ihnen gewarnt. Sie wären so schlagfertig und hätten immer einen Spruch auf Lager.“ „Das ist reine Verlegenheit. Ich bin sehr schüchtern und außergewöhnlich zurück haltend.“ „Sie wissen doch, dass sie nicht lügen dürfen. Ich bin mal auf ihre Reaktion auf folgenden Satz gespannt. Die Erde ist eine Scheibe und sie sind schüchtern.“ „Keine Angst, wenn sie vom Rand fallen sollten, fange ich sie auf.“ „Jetzt ist es genug. sie gehen sofort in den Garten zu den anderen Gästen. Sie sind ein furchtbarer Mensch aber mir sehr sympathisch. Ich verstehe jetzt auch, warum mein Mann sie unbedingt dabei haben wollte.“ Michael bewunderte die geschmackvolle Ausstattung des Hauses und kam in den Garten. Sofort wurde er von Dr. König begrüßt: „Guten Abend, Herr Kaiser. Ich freue mich sehr, dass sie die Einladung angenommen haben. Ohne sie hätte ich diesen Geburtstag niemals feiern können, sie Lebensretter. Ich habe bemerkt, dass sie sich längere Zeit mit meiner Frau unterhalten haben. Sie haben Sie doch wohl nicht auf den Arm genommen, oder?“ „Wo denken sie hin, Herr Dr. König. Ich nehme Frauen lieber in den Arm. Bei Ihrer Frau musste ich mich schwer beherrschen, sie beinahe schon abwehren, denn im Normalfall genügt ein Blick und jede ist mir verfallen.“ Alle Männer lachten, die das Gespräch mitbekommen hatten. Die anwesenden Ehefrauen schauten sehr skeptisch und dachten: „Welch ein Angeber!“ Dr. König machte Michael mit allen Gästen bekannt: „Das ist Michael Kaiser. Er hat mir durch seine spontane Hilfe das Leben gerettet und mich durch sein ständiges Widersprechen viele Nerven gekostet. Ich glaube, seine Antworten auf meine nicht gestellten Fragen fehlen mir richtig.“ „Heben sie mich bitte nicht in den Himmel. Ich habe nur getan, was nötig war.“ „Warum auf einmal geben sie sich so bescheiden?“ „Das liegt in meiner Natur. Ich bin eben ein zurück haltender Mensch.“ Frau König kam dazu: „Sie sind ein notorischer Schwindler.“ „Wer? Ich? Weshalb denn?“ „Sie und zurück haltend oder schüchtern.“ „Das ist nicht gelogen, sondern nur wissentlich die Unwahrheit gesagt.“ „Fritz, dieser Mensch ist unmöglich. Wie konntest du ihn überhaupt einladen?“ „Liebe Helga, ich wollte dir nur vor Augen führen, mit welchen Menschen ich auf der Station umgehen muss oder musste.“ „Das hast du aber das abschreckendste Beispiel eingeladen. Wehe, du hättest es nicht getan, uns wäre etwas entgangen.“
Michael übergab Dr. König eine Flasche Kräuterschnaps, von dem er jeden Tag nur einen kleinen Schluck nehmen sollte. Das würde die Gesundheit lange erhalten und weder zu Zahn- oder Haarfall führen. Dr. König bedankte sich und bot Michael einen Aperitif an. Den nahm er gern an und stieß auf die nächsten 50 Jahre an. Danach unterhielt er sich angeregt mit den anderen Gästen, die ganz schnell eine hohe Meinung von ihm hatten. Trotzdem er kein Akademiker war, verstand er doch immer sofort, wovon gesprochen wurde. Ein Studienkollege und enger Freund der Königs, Karl Baumann war mit Frau Hildegard und Tochter Franziska anwesend. Die Tochter studierte erfolgreich Veterinärmedizin im zweiten Semester. Zuerst hielt sie Michael für einen albernen Schwätzer, bis sie sich überwand, mit ihm zu sprechen. Er nahm sie völlig für sich ein und sprach den ganzen Abend fast nur noch mit ihr. Sie war von seiner Warmherzigkeit und gefühlvollen Art sehr angetan. Auf Anhieb verstanden sie sich prächtig: „Ich bin Franziska Baumann, nenn‘ mich bitte Franni.“ „Wenn du mich Mike nennst, geht das klar. Schau mir bitte nicht zu tief in die Augen, denn wie ich vorhin schon die Frauen warnte, könntest du völlig hin sein.“ „Du Angeber! Wenn du schon so anfängst, brauchen wir uns gar nicht zu unterhalten. Außerdem können die Frauen den Männern widerstehen, nicht jedoch die Männer den Frauen. Ein Blick von mir und jeder Mann liegt mir zu Füßen.“ „Aber nur bei Glatteis.“ „Was, du zweifelst an meinen Worten?“ „Na klar, denn meine Ausstrahlung ist unwiderstehlich. Ich habe es noch nicht einmal nötig, einer Frau die Sterne vom Himmel zu holen, weil ich sowieso der Hellste bin.“ „Bin ich froh, dass wir hier im Garten sitzen. Dein Eigenlob stinkt ja zum Himmel.“ „Von da komme ich, denn eigentlich bin ich ein Engel.“ „Mir reicht es! Entweder wir reden jetzt vernünftig miteinander oder nicht. Über die Selbstverständlichkeit, wie gut wir beide sind, zu sprechen ist reine Zeitverschwendung.“ „Da stimme ich dir zu. Du willst also Tierärztin werden. Dabei könnte ich dir helfen, denn ich bin hier im Zoo Tierpfleger.“ „Vertrittst du also den Gorilla, wenn er krank sein sollte?“ „Einer muss es ja tun aber wir machen das abwechselnd. Bisher hat sich noch kein Zoobesucher beschwert.“ „Nun hast du mich doch wieder zum Blödeln gebracht. Während der Vorlesungen in der Universität geht so etwas nicht, da muss ich immer gut zuhören. Schließlich will ich einen guten Abschluss schaffen." „Es wurde also höchste Zeit, dass ich mich deiner angenommen habe. Wer immer Alles tierisch ernst nimmt, sollte aufpassen, dass er nicht auf den Hund kommt.“ „Geht das schon wieder los? Ich probiere mal, ob ich deinem Blick widerstehen kann. Versuchst du das bitte bei mir? Das Ergebnis interessiert mich brennend." „Sag‘ hinterher nicht, ich hätte dich nicht gewarnt.“ Danach schwiegen sie und schauten sich tief in die Augen. Es kam wie es kommen musste. Sie verstanden sich noch besser ohne Worte. Kurze Zeit später begaben sie sich in den hinteren Teil des Gartens, stellten sich hinter den Pavillon und küssten sich.
Versehentlich schreckten sie eine junge Elster auf, die vor Angst gegen den Pavillon flog und sich einen Flügel brach. Sofort kümmerten sie sich um sie und verbanden ihr mit einem Taschentuch den gebrochenen Flügel. Danach trug Mike sie zu einem Tisch und sie wurde dort von Franni auf weitere Verletzungen untersucht. Glücklicher Weise war nur der Flügel in Mitleidenschaft gezogen worden. Ein Gast meinte beiläufig: „So viel Aufhebens um eine Elster. Den Hals umgedreht wäre besser für diesen Nesträuber gewesen.“ Davon ließen sich Franni und Mike aber nicht stören und halfen dem Vogel. Gemeinsam verließen sie die Party, gingen zuerst zu Mikes Wohnung, holten dort den Schlüssel für den Zoo und brachten den Vogel dahin. Auf dem Weg meinte Franni: „Welch ein Zufall, dass uns dieser Vogel länger zusammen sein lässt als ich dachte. Müssten wir nicht bei ihm wachen?“ „Wie kommst du nur auf solch eine Idee? Nachher vermuten unsere Mitmenschen noch eine Affäre.“ „Warum nicht? Mit dir könnte ich mir so etwas vorstellen. Du bist gefährlich nett zu mir und widerstehen kann ich dir auch nicht.“ „ich glaube, das beruht auf Gegenseitigkeit.“ „Außerdem hilfst du sofort allen in Not geratenen Geschöpfen, eine Eigenschaft, die ich sehr schätze.“ „Mach‘ nur so weiter und eines Tages werden wir unzertrennlich sein.“ „Hast du Angst davor?“ „Und wie. Irgendwann werde ich durch solch eine Dummheit Vater. Stell‘ dir vor, alles kleine Michael Kaisers und jeder gibt Widerworte. Nicht auszudenken.“ „Mich freut besonders, dass ich dir damit drohen kann. Endlich hast du deinen Meister gefunden.“ „Nein, die Meisterin.“ „Musst du immer das letzte Wort haben?“ „Ja, das muss ich.“
Im Zoo band Mike der Elster die Flügel an den Leib, damit sie sich nicht verletzen konnte. Anschließend steckte er sie in einen großen Käfig und schrieb einen Zettel für den Sonntagsdienst, damit sich jemand um die Elster kümmerte. Er gab ihr Wasser, etwas Futter und streichelte sie beruhigend. Sie ließ alles regungslos über sich ergehen und trank sofort als der Käfig geschlossen wurde. Danach verließen Franni und Mike den Zoo und gingen zurück zur Party. Franni hatte über Handy Frau König alle Begebenheiten mitgeteilt ebenso die Rückkehr.
Wieder auf der Party war dieser Vorfall zum Gespräch geworden. Karl Baumann ging zu seiner Tochter und lächelte: „Die zukünftige Tierärztin Frau Dr. Baumann geht voll in ihrem Beruf auf. So wie du strahlst, hat das nicht nur mit der Rettung der Elster zu tun. Kann es sein, dass du eine besondere Medizin erhalten hast?“ „Papa, ob du es glaubst oder nicht. Dieser Mike ist der Mann, den ich mir schon immer gewünscht habe. Mit ihm möchte ich alt werden.“ „Es muss dich ja wie der Blitz getroffen haben.“ „Nicht sofort aber nach seinen ersten an mich gerichteten Worten. Ich schmolz dahin wie Schnee in der Sonne. Dabei hat er nur herum geblödelt aber auf welch nette Art. Es war unglaublich.“ „Du kannst tun und lassen, was du willst. Ich bitte dich nur um eine Sache, bring‘ dein Studium mit einem guten Abschluss zu Ende.“ „Natürlich Papa. Da brauchst du dir keine Sorgen zu machen. Eine Baumann weiß, was sie will. Ohne Abschluss kein gutes Einkommen. Ich will später finanziell völlig unabhängig bleiben und nicht von einem Mann ausgehalten werden.“ „Diese Einstellung gefällt mir. Darf ich dich denn manchmal trotzdem in der ersten Zeit unterstützen?“ „Aber nur, wenn ich dir das ganze Geld auf Heller und Pfennig zurück zahlen soll.“ „Du bist eine harte Nuss. Woher hast du das nur?“ „Hättest du im Fach Biologie besser aufgepasst, wüsstest du vom Apfel und vom Stamm oder war das im Physikunterricht von Isaac Newton?“ Michael beteiligte sich kurz darauf an der Unterhaltung ebenso Frannis Mutter. Sie begann: „Herr Kaiser, was haben sie mit meiner Tochter bloß gemacht? Sie strahlt mehr als jedes Atomkraftwerk.“ „Nennen sie mich bitte Mike. Ich weiß nicht, ob sie meine Begrüßungsrede mitbekommen haben. Gemacht habe ich nur, dass ich ihr tief in die Augen schaute und schon war es um sie geschehen. Sehen sie sich bitte vor, sonst bekomme ich Ärger mit ihrem Mann.“ „Wenn es nur deine Augen gewesen wären, hätte ich mich zurück halten können. Deine ganze Art hat mich wie ein Bannstrahl getroffen.“ „Für mich als Frauentyp eine verständliche Reaktion.“ „Da! Seht ihr! Er macht es schon wieder. Zuerst meinst du, er könnte kein Wässerchen trüben und dann beginnt er zu sprechen. Liebe Eltern, könnt ihr mich wohl vor ihm beschützen?“ „Liebe Tochter, wir kennen dich schon über zwanzig Jahre und höchstwahrscheinlich läuft es darauf hinaus, ihn vor dir zu bewahren.“ „Wo bin ich hinein geraten? Ich muss vor einer Frau beschützt werden?“ „Nicht vor einer Frau, sondern vor meiner Tochter. Das ist ein großer Unterschied!“ „Papa, musst du mir in den Rücken fallen? Jetzt habe ich endlich einen Mann an der Angel, der noch nicht weiß, was auf ihn zukommt und dann das.“ „Franni, sei froh, dass er dich noch nicht näher kennt. Er würde schnellstens verschwinden aber so wie es aussieht nur mit dir gemeinsam. Früher hätte ich gedacht, meine Tochter würde einen Multimillionär heiraten und wir hätten keine finanziellen Sorgen mehr. Ganz unter uns gesagt sind sie mir viel lieber als ein stocksteifer und langweiliger Krösus. Finanzielle Sorgen haben wir nicht, es könnte uns kaum besser gehen. Wenn aber Frau Dr. Baumann eine eigene, gut gehende Tierarztpraxis haben wird, werden wir im Geld schwimmen wie Dagobert Duck.“ „Karl hör‘ auf. Fast redest du wie Mike.“ „Dieses Reden ist eine gefährliche und äußerst ansteckende Krankheit. Vielleicht kann Franni sie heilen obwohl sie Tierärztin wird.“
Michael war begeistert von den Baumanns. Er sprach mit Dr. König: „Sie haben aber vielleicht einen Studienfreund. Ich kann mir denken, dass sie mit Karl Baumann sehr viel ausgeheckt haben und den Damen bestimmt nicht abgeneigt waren.“ „Verraten sie das bitte nicht meiner Frau. Meinen beiden Söhnen können sie es zum Glück nicht sagen, denn die haben ausgerechnet heute diesen 24-Stunden-Dienst. Vorhin sind sie mit Franni hinter den Pavillon gegangen. Fast sah es so aus als wenn sie die Elster absichtlich erschreckt hätten, um mit Franni unauffällig mehr Zeit verbringen zu können und ihr zu zeigen, wie tierlieb sie sind. Mein Junge, darauf fährt jede Frau ab. Ich weiß aber genau, dass sie keinem Geschöpf absichtlich Schaden zufügen.“ „Herr Dr., ich dachte uns hätte niemand bemerkt und dann erzählen sie mir so was.“ „Das sind sie selber schuld, denn ich beobachte seit meinem Koma alles um mich herum Geschehende so intensiv als wenn ich jeden Moment sterben könnte.“ „Also kann ich ihnen auch mein Empfinden für Franni nicht verheimlichen. Wenn alles schief geht, würden sie dann mein Trauzeuge sein?“ „Ihre Bitte ehrt mich und ich verspreche ihnen, ihr Trauzeuge zu sein. Vor einer Sache möchte ich sie aber warnen. Werden sie bloß nicht Vater. Bei ihnen wäre das meiner Meinung nach aber wiederum nur gerecht, denn da die Kinder ihren Eltern immer ähnlich sind, erleben sie endlich die Freuden des Widersprechens und spüren am eigenen Leib, was Widerspenstigkeit ist.“ „War das eine Drohung oder ein gut gemeinter Rat?“ „Nein, nur heimliche Schadenfreude.“ „Haben sie einen fiesen Charakter und dachte, ich hätte sie durch meine vorbildliche Lebensweise eines Besseren belehrt.“ Laut lachten sie und langsam näherte sich die Party dem Ende. Franni kam zu Mike, nahm seine Hand und meinte: „Mein lieber Onkel Fritz. Du bist zwar nur mein Patenonkel aber trotzdem würde ich gern deine Meinung in Bezug auf Mike hören, denn du hast ihn und mich wie ich dich kenne beobachtet und weißt, was los ist. Kann ich diesen unmöglichen Menschen überhaupt gern haben, geschweige denn mehr?“ „Zum gern haben gehören immer zwei und außerdem bin ich mir ganz sicher, dass Gleich und Gleich sich gern gesellen.“ „Was sagst du da? Du hältst mich auch für unmöglich? Wieder mal typisch Mann, keine Ahnung von Frauen. Am besten hätte ich dich gar nicht gefragt. Ihr Männer haltet sowieso gegen uns arme, schwache Frauen zusammen.“ „Als ich jung war, gab es noch kaum Studentinnen. Ihr Frauen solltet froh sein, dass wir Männer euch zur Schule gehen und etwas lernen lassen. Frauen gehören in die Küche, erziehen Kinder und geben keine Widerworte.“ „Du Chauvinist! Man sollte euch Männer direkt nach Geburt ertränken. Es ist unglaublich wie du von Frauen denkst. Hoffentlich erlebe ich mit Mike nicht so eine Pleite. Wenn er auch nur versuchen sollte, so mit mir zu reden, kann er sich auf Prügel gefasst machen!“ „Huch, eine Amazone. Du bist genau der Typ Frau, vor der mich meine Mutter oft gewarnt hat. Sie sagte, ich solle mich vor Emanzen in Acht nehmen Ich habe aber immer die Warnungen missachtet und gern mit dem Feuer gespielt. Ohne gewisse Gefahr ist das ganze Leben stinklangweilig.“
Am nächsten Tag rief Mike zuerst im Zoo an und erkundigte sich nach der jungen Elster. Danach telefonierte er mit Franni und verabredete sich mit ihr am Zoo. Gemeinsam gingen sie zu Mikes Kollegen und stellten fest, dass es der Elster den Umständen entsprechend gut ging. Einige Tage darauf konnte sie wieder Flugversuche machen, denn der Flügel war nur angebrochen gewesen. Sie erholte sich vollständig und konnte wieder frei gelassen werden. Das Erste, was sie tat, war unglaublich. Sie flog zu Mike ins Elefantengehege, setzte sich auf seine Schulter und ließ sich durch den Zoo tragen. Er wurde sie nicht mehr los und seine lieben Kollegen meinten, jetzt hätte er wirklich einen Vogel. Selbst nach Hause begleitete sie ihn. Franni fand das sehr amüsant, nur wenn sie sich begrüßten störte die Elster etwas. Sie nannten den Vogel Willi und bald hörte er auch darauf.
Mikes Eltern waren sehr angetan von Franni. Zum einen war sie sehr nett und zum anderen äußerst hilfsbereit. Zusätzlich wussten sie ihren Sohn bei ihr in guten Händen, denn sie ließ sich von seiner Schlagfertigkeit nicht beeindrucken und sorgte für einen verbalen Schlagabtausch auf hohem Niveau. Als Franni ihren guten Abschluss hatte und sich auf ihre Doktorarbeit vorbereitete, heiratete sie Mike. Dr. König war Trauzeuge wie versprochen. Als Hochzeitsgeschenk bekam Franni unter anderem einen Geländewagen, einen dunkelgrünen Toyota Landcruiser, den sie als Fahrzeug für die Tierarztpraxis nutzen sollte. Eine Bedingung war daran geknüpft, sie musste ihn als Geschenk annehmen und durfte nichts zurück zahlen. Auf der Hochzeitsfeier ließ Dr. König verlauten: „Ich weiß nicht, ob ich eine so alte Frau, eine 26Jährige, geheiratet hätte. Mike, du gehörst jetzt zur Familie Baumann und deshalb musst du mich nun auch Fritz nennen.“ „Es hätte schlimmer kommen können Fritz. Sie ist zwar schon 26 aber ganz rüstig für ihr Alter.“ „Komm‘ du mir nach Hause! Von wegen rüstig! Ich werd‘ dir zeigen, wer hier alt ist! Ach, da steht ja das Bratpfannen-Set. Leider nicht aus Gusseisen aber stabil genug. Für dich reicht es. Obwohl, wenn ich mich hier so umschaue... Genau das ist es. Hier sind genügend hohlköpfige Männer, da kann ich bestimmt zwei Tonleitern an Klang zusammen stellen, wenn ich auf ihren Köpfen klopfe wie auf einem Xylophon.“ „Mein lieber Schwiegersohn, habe ich dich nicht ausdrücklich vor meiner Tochter gewarnt? Jetzt sieh‘ zu wie du mit ihr fertig wirst.“ „Der Gerechte muss viel leiden habe ich irgendwo gelesen und ich bin ein geduldiger Mensch. Wer täglich im Zoo arbeitet, den kann nichts mehr erschrecken.“ „Vor allem als Gorillaersatz nicht.“ Die Gäste brüllten vor Lachen und meinten, den Entertainer hätten sie sich sparen können, dass Brautpaar wäre schlimm genug.
Es dauerte nicht lang und Frannis Tierarztpraxis lief ausgezeichnet. Ihre humorvolle und doch beruhigende Art flößte Mensch wie Tier sofort Vertrauen ein. Dadurch hatte sie bald ein ansehnliches Kapitalpolster und konnte problemlos alle Kredite abbezahlen. Nur mit ihrem Toyota hatte sie Pech. Während einer Behandlung einer Kuh im Stall passierte es. Sie hatte den Wagen in Stallnähe abgestellt, aber so, dass sie nicht durch den tiefen Morast waten musste. Der Bauer zeigte ihr die kranke Kuh und ging wieder zu seinem Traktor, an den er den Miststreuer ankoppelte. Er stellte ihn in der Nähe des Toyotas ab und begann mit der Beladung. Den Motor des Traktors hatte er laufen lassen und den Miststreuer ausprobiert, ob er funktionierte. Nach der zufrieden stellenden Funktionsprobe belud er ihn. Als er voll mit Mist war, setzte sich der Bauer auf den Traktor und wollte losfahren. Leider erwischte er unbemerkt den Rückwärtsgang, gab Gas und knallte in den Toyota. Beim Aufprall setzten sich Messer des Miststreuers in Bewegung und zerfetzten den Aufbau des Geländewagens. Als Franni den Knall und danach die kreischenden Geräusche vernahm, unterbrach sie die Behandlung und schaute nach. Sie konnte kaum glauben, was passiert war. Ihr Wagen war schrottreif und von Mist begraben. Bleich kam der Bauer auf sie zu, nach dem er zitternd vom Traktor gestiegen war. Er entschuldigte sich für sein Versehen und meinte, er wäre versichert. Franni beruhigte ihn: „Regen sie sich nicht auf. Außer Sachschaden ist nichts gewesen. Keiner wurde verletzt. Wahrscheinlich werden sie nur etwas mehr an Versicherungsprämien zahlen müssen. Blechschaden ist durch Geld wieder zu ersetzen. Ich behandele ihre Kuh schnell noch zu Ende und dann bringen sie mich bitte zur Praxis.“ „Vielen Dank für ihr Verständnis. Das war das erste Mal, dass ich mich mit den Gängen vertan habe. Selbstverständlich fahre ich sie, wohin sie wollen, so zu sagen als kleine Wiedergutmachung.“
Als Mike davon hörte, dass der Wagen seiner Franni nur noch ein Wrack, ihr aber nichts geschehen war, lästerte er: „Das habe ich kommen sehen. Typisch Frau. Mit Bravour den Doktor bauen und dann nicht fahren können.“ „Mein lieber Mike, bevor du dich weiter in Hetztiraden ergehst nur zu deiner Information. Ein Mann mit Hut hat den Toyota zerstört. Ein echter Landwirt mit Jahrzehnten Erfahrung im Trecker fahren rührt im Getriebe herum und erwischt den Rückwärtsgang. Mit voll beladenem Miststreuer knallte er in mein Auto. Durch diesen Ruck liefen die Messer des Streuers, die den Mist zerteilen, an, zermalmten die Karosserie und verteilten den Mist über den Schrott. Wer kann hier nicht fahren?“ „Das wusste ich nicht. Ich nehme alles zurück und behaupte das Gegenteil. Glücklicher Weise ist dir nichts zugestoßen.“ „Hast du dir etwa Sorgen um mich gemacht?“ „Als Macho bestimmt nicht aber als dein dich liebender Ehegatterich sehr. Zumal ich im Falle deines Ablebens in eine finanzielle Misere geraten wäre.“ „Was? Zählt bei dir nur das Geld?“ „Wenn ich ehrlich sein soll...“ „So ein guter Schauspieler bist du nicht. Ich weiß genau, dass du deine Sorge um mich hinter dummen Sprüchen versteckst.“ „Ich kann dir aber auch nichts verheimlichen.“ Sie umarmte ihn: „Meinst du vielleicht, ich wäre noch mit dir zusammen, wenn du anders wärst? Softies mag ich genauso wenig wie Machos. Deine warmherzige Schlagfertigkeit ist einfach super und Rest ist auch nicht ohne.“ „Ich weiß, dass ich dein Traummann bin.“ „Oh, nein! Das gibt es doch nicht. Jedes Mal falle ich auf deine Blödelei herein.“ Treuherzig schaute er sie an: „Bist du mir deswegen böse?“ „Natürlich. Aber nur Sekunden. Ich schaffe es einfach nicht länger. Schau‘ mich nicht so an, dann wird es nämlich nur schlimmer.“ „Ich werde mich bemühen. Wolltest du dir wieder den gleichen Wagen zulegen?“ „Ja, denn er hat mich nie im Stich gelassen. Mir gefiel die Farbe zwar sehr obwohl sie so empfindlich war. Der nächste Wagen deshalb wird silberfarbig. Selbst nach drei Monaten ohne Wäsche siehst du kaum Schmutz auf dem Lack. Ein Auto ist nun einmal ein Gebrauchsgegenstand und kein Spielzeug. Für euch Männer schon, denn dann könnt ihr zeigen, welche Kerle ihr seid und wie gut ihr fahren könnt. Wenn ihr nicht jedes Wochenende euren Wagen waschen können, fehlt euch was und ihr werdet todunglücklich. Die ganze Familie muss dann mitleiden.“ „Musst du immer auf solchen Klischees herum reiten? Von mir kannst du das nun wirklich nicht sagen. Du fährst doch unseren Privatwagen fast immer und ich lasse mich gern von dir fahren. Bei dir fühle ich mich sogar im Auto geborgen, von sonst gar nicht zu reden.“ „Ausnahmen bestätigen die Regel und Kampfeswillen liegt nun einmal in der Natur des Mannes. Wir Frauen haben dieses ganze Imponiergehabe nicht nötig, denn wir wirken durch unsere natürliche Schönheit.“ „Arbeite du mal nur mit Frauen zusammen. Manchmal sind sie so nett zueinander, dass sie sich am liebsten gegenseitig die Augen auskratzen würden, nur um die natürliche Schönheit ihrer vermeintlichen Konkurrentinnen zu zerstören. Eifersüchteleien sind da an der Tagesordnung.“ „Leider muss ich dir Recht geben, manche meiner Geschlechtsgenossinnen sind wirklich so. Ich bin ganz anders und zwar die Liebenswürdigkeit in Person. Bei mir kann jeder machen, was ich will und das sogar jeden Tag.“ „Stimmt. Du bist manchmal so liebenswürdig wie ein angeschossenes Raubtier.“ „Immer lieb sein ist öde. Streiten macht mir schon Spaß aber nur mit einem gleichwertigen Gegner.“ „Du bist mir doch überhaupt nicht gewachsen, du bist nur ein Opfer für mich.“ „Ich werde dir zeigen, wer hier das Opfer ist.“
Im Jahr darauf wurden Franni und Mike Eltern eines Mädchens. Sie nannten es Fiona. Nach weiteren zwei Jahren bekamen sie einen Jungen, der auf den Namen Dennis getauft wurde. Die Kinder wuchsen heran und wie es sich für Kinder gehört, wurden sie ihren Eltern immer ähnlicher. Fiona war am liebsten in Jungenbanden und heckte Streiche aus. Dennis hingegen spielte mit Vorliebe sein Keyboard. In der Schule waren beide gut und erstaunlicher Weise kaum rebellisch. Mike unterhielt sich mit Franni über diese Tatsache: „Manchmal wundere ich mich, wie unsere Kinder sich verhalten. Kaum Widerworte, machen fast das, was sie sollen und können sich gut benehmen.“ „Bei der Mutter hätte es nicht anders sein können. Es liegt eben an meinen ausgezeichneten Erziehungsmethoden.“ „Da stellt sich mir eine Frage. Als ich in Fionas Alter war, hatte ich eine unheimlich rebellische Art. Sind die Kinder überhaupt von mir?“ „Wenn du mich richtig kennen würdest, wärst du niemals auf so eine Frage gekommen. Wie oft habe ich dir schon gesagt und gezeigt, dass ich ein unwahrscheinlich lieber Mensch bin. Welche Beweise verlangst du denn noch?“ „Das haut den stärksten Mann um. Was soll ich da noch sagen?“ „Eben. Da bist du sprachlos. Meine unnachahmlich liebenswürdige Art ist einfach unwiderstehlich. Hast du etwa in der Schule bei der Vererbungslehre nicht aufgepasst?“ „Ganz sicher weiß ich über die Vererbung haarklein Bescheid. Darum wundert mich das Verhalten ja. Jetzt verstehe ich. Ich soll mir einreden, sie hätten das Gute nur von dir und das Schlechte von mir. Das ist Manipulation und das mag ich gar nicht.“ „Das siehst du völlig falsch. Du willst nur nicht wahr haben, dass ich der bessere Mensch bin. Nimm die Tatsache einfach hin, denn wenn du dich dagegen auflehnst, wird es für dich unerträglich.“ „Ich glaub‘, ich brech‘ zusammen. Liebe Franni, soll ich dich demnächst mit Euer Exzellenz anreden?“ „Das wäre ja wohl nicht zuviel verlangt und stände mir außerdem zu.“ „Eines Tages treibt dich dein Größenwahn in die psychiatrische Klinik. Es war schon immer so, Genie und Wahnsinn liegen dicht beieinander.“ „Schon wieder manipuliert, denn du hast mich als Genie bezeichnet.“ „Jetzt kommt auch noch unbefriedigtes Geltungsbedürfnis in Form einer Neurose dazu.“ „Hast du bei Onkel Hermann in den psychologischen Büchern herum geschnüffelt?“ „Das brauche ich nicht, ich merke auch so, was bei dir nicht stimmt.“ Sie funkelte ihn an: „Bei mir stimmt also etwas nicht! Das lasse ich mir nicht ungestraft sagen! Auf die Knie und erweise er mir den nötigen Respekt!“ Mike senkte wie schuldbewusst sein Haupt und bat theatralisch um Vergebung. Er kniete vor ihr und tat, als wenn er Schläge erwartete. Franni schaute sehr mühsam streng: „Für dieses Mal vergebe ich dir aber das mir das nie wieder vorkommt. Da du dein Fehlverhalten einsiehst und bereust, darfst du dich wieder erheben und brauchst keine Strafe zu fürchten.“
Fiona und Dennis hatten den letzten Teil des Streitgesprächs ihrer Eltern mitbekommen und lugten um die Ecke des Wohnzimmers, sodass sie unbemerkt blieben. Als ihr Vater sich hinkniete, blieb ihnen ihr Mund offen stehen. Kaum stand Mike wieder, liefen sie aufgeregt zu den Eltern: „Was habt ihr denn da gemacht? Ist Papa böse gewesen?“ Mit ernster Stimme, sich kaum das Lachen verkneifen können, antwortete Franni: „Gut, dass ihr das gesehen habt. Fiona, wenn einmal ein Mann in seiner Familie freie Hand bekommt, wird er widerspenstig. Merke dir das gut. Du Dennis weißt jetzt, dass du dich den Frauen unterordnen musst. Das ist eben das Schicksal der Männer.“ „Frage doch mal deine Mutter, wie sie auf diesen Holzweg geraten konnte.“ Franni konnte sich nicht mehr halten und prustete los: „Es, es war nur gespielt und dein Vater hat wie so oft ganz toll mitgemacht.“ „Danke. Ich freue mich diebisch, dass ihr diese Vorstellung für echt gehalten habt.“ „Es sah aber auch so aus. Warum macht ihr so was?“ „Aus reinem Vergnügen. Ihr kennt doch bestimmt das Sprichwort: Was sich liebt das neckt sich. Deine Mutter und ich haben uns sehr lieb, euch natürlich genauso. Wir ziehen uns gegenseitig gern mit den Schwächen und Fehlern auf. Wie alle Menschen haben wir unsere Fehler und wir werden trotzdem das Beste, was wir können, für unsere Kinder tun. Sich im Ernst so zu verhalten wie wir euch dargeboten haben, ist entwürdigend und macht auf die Dauer krank. Kein Mensch dürfte so behandelt werden, denn niemand ist besser, nur anders.“ „Warum hänseln oder verhauen denn unsere Mitschüler jeden in der Klasse, der anders gekleidet ist oder nur anders denkt?“ „Das ist prima, dass ihr das gerade jetzt einwerft. Es zeugt davon, dass ihr nicht kritiklos hinnehmt, was ihr wahr genommen habt. Das Hänseln oder Verprügeln ist ein Zeichen von Angst und Unreife. Wenn ich weiß, dass ich zwar anders aber nicht besser bin, wovor sollte ich Angst haben? Angst ist meistens Unwissenheit und außerdem ein Mangel an Liebe. Deshalb müssen deine Mutter und ich sehr genau darauf achten, euch keine Angst zu machen.“ „Wenn das so ist, warum dürfen wir nicht so nah vor dem Fernseher sitzen und müssen uns viel bewegen?“ „Siehst du Mike. Lass‘ dir was einfallen. Du bist der allwissende Vater.“ „Geht das schon wieder los? Liebe Franni, nur du kannst mich sprachlos machen, meine Kinder noch nicht. Es stimmt, dass ich euch wie ihr sagt ein wenig Angst gemacht habe, denn die Strahlung, die vom Fernsehgerät ausgeht, ist nun einmal nicht ungefährlich und wer immer zu nah davor sitzt, kann krank werden. Das Tückische ist daran, dass es keiner sofort wird, sondern erst nach langer Zeit. Kommen wir zum Bewegen. Der Mensch ist von Natur aus faul und gebraucht diesen Satz sehr oft als Ausrede. Wir sind nicht dafür geschaffen, immer nur zu sitzen, zu liegen oder zu stehen. Das ist auch ein Grund für die Pausen in der Schule. Der menschliche Körper ist ein Geschenk und dieses wird normaler Weise gehegt und gepflegt. Falsche Ernährung, Bewegungsmangel und Trägheit im Denken zerstören auf Dauer den Körper.“ Nachdenklich gingen die Kinder auf ihre Zimmer.
Fortsetzung folgt -------------------------------------------------- Ich wünsche allen Wesen Wohlgefühl. Wer kuschelt, kann nicht streiten.
Eines Tages bekam Franni einen Anruf. Mit Tränen erstickter Stimme meldete sich Helga König: „Stell‘ dir vor, Fritz ist tot.“ „Was? Wie kam das denn so plötzlich? Er lebte doch so gesund nach seinem Infarkt.“ „Ich kann momentan kaum sprechen.“ „In einer Stunde bin ich bei dir.“ Sie rief im Zoo an und ließ Mike ans Telefon holen: „Kannst du bitte schnellstens nach Hause kommen?“ „Was ist denn passiert?“ „Fritz ist tot.“ „Ich sehe zu, dass es geht. Warte eben, ich melde mich wieder.“ Kurz darauf klingelte es. Mike war es und sagte sein Kommen zu. Als er mit seinem Fahrrad in den Hof einbog, fuhr er direkt zum Auto, in dem Franni schon wartete. Sie zählte ihm kurz auf, was zu erledigen wäre und er sollte die Kunden auf Morgen vertrösten. Sobald sie Näheres wüsste, würde sie sich melden. Er konnte sie nur noch bitten, vorsichtig zu fahren, denn sie schoss vom Hof.
Als Franni bei Helga ankam, umarmte sie sie im Hauseingang längere Zeit wortlos und ging danach gemeinsam mit ihr ins Wohnzimmer. Dort setzten sie sich und Helga begann stockend: „Ich kann noch gar nicht glauben, dass Fritz tot ist. Gestern ist er noch 20 km mit dem Rad gefahren und kam putzmunter zurück. Heute Morgen will er zum Dienst, kommt aber nicht an. Das weiß ich, weil vom Krankenhaus hier angerufen wurde, wo er denn bliebe. Nach fast zwei weiteren Stunden, ich machte mir schon die größten Sorgen, weil ich ihn auch nicht über Handy erreichen konnte, läutete es an der Haustür. Ich öffnete und zwei Polizisten standen vor mir: Die Beamtin fragte: „Sind sie Frau König?“ „Ja, die bin ich. Ist was mit meinem Mann?“ „Leider ja. Als er vorhin einen Ertrinkenden gerettet hatte, ist er an Überanstrengung gestorben. Mein aufrichtiges Beileid. Können wir etwas für sie tun?“ Fast einem Zusammenbruch nahe antwortete ich weinend: „Nein danke. Ich komme schon zurecht.“ „Kommen sie wirklich zurecht? Können wir tatsächlich nichts für sie tun?“ „Ganz sicher. Das Einzige was sie tun können ist, lassen sie mich bitte allein. Ich rufe eine Freundin an und bitte sie zu mir zu kommen. Danach gingen sie zum Streifenwagen zurück und fuhren davon. Du bist die Erste, die es von mir weiß.“ „Kann ich denn etwas für dich tun?“ „Bleibe einfach nur bei mir.“ „Wenn es dir hilft, bleibe ich so lange du willst.“ „Könntest du bitte noch deinen Eltern Bescheid geben?“ „Ich rufe sie sofort an. Was ist mit deinen Kindern? Hast du sie schon verständigt?“ „Bisher war ich noch nicht in der Lage, Thomas und Frank anzurufen. Machst du das bitte auch noch? Die Nummern sind eingespeichert“ „Na klar. Darf ich vorher Mike anrufen?“ „Selbstverständlich. Es ist so gut, dass gerade du da bist.“
Als Franni allen Angehörigen und Freunden die Todesnachricht übermittelt hatte, rief sie noch im Krankenhaus an. Überall hatte diese Nachricht Bestürzung und Trauer ausgelöst sogar bei den Patienten der Station. Kurz darauf kamen die Baumanns an. Sie umarmten Helga und versuchten, tröstende Worte zu finden. Es gelang kaum und daher schwiegen sie lieber. Franni fuhr spät heim, nach dem sie nichts mehr tun konnte. Traurig begrüßte sie Mike und erzählte ihm von dem tragischen Ereignis. Er war zwar gefasst aber sichtlich bestürzt und sagte nur: „Das Einzige, was mich ein wenig tröstet, ist, er hat unter Einsatz seines Lebens einen Menschen gerettet. Ein größeres Geschenk kann kein Mensch einem anderen machen. Sein Herzinfarkt war nicht vergebens, denn dadurch wurde er zum Helden.“ „Er war doch größer als ich immer dachte und sein Andenken werden wir in Ehren halten.“ Danach saßen sie lange aneinander gelehnt auf dem Sofa und hingen ihren Gedanken nach.
Die Beerdigung war sehr bewegend, denn der Pfarrer hatte die Gabe, genau den richtigen Ton bei seiner Grabrede zu treffen. Alle Angehörigen und Freunde konnten sich ein wenig damit trösten, dass er sich für einen anderen Menschen geopfert hatte. Sechs Wochen später nach der Messe trafen sich bei Helga Verwandte und Freunde von Fritz König. Es wurde Kuchen gegessen und Kaffee getrunken und viele Anekdoten aus seinem Leben machten die Runde. Nach einiger Zeit erhob sich Helga und hielt eine kurze Ansprache: „Ich danke allen Anwesenden für ihre Anteilnahme in dieser für mich schweren Zeit. Bevor Fritz starb, hatte er mit mir Folgendes besprochen. Dieses Haus und etwa 20 Prozent unseres Vermögens sollen in eine Stiftung umgewandelt werden. Das steht zwar nicht im Testament aber wenn wir es nicht tun, entweihen wir meiner Meinung nach seinen guten Namen. Diese Stiftung muss so verwaltet werden, dass sie möglichst wirtschaftlich arbeitet. Dieses Haus soll zum Altenwohnheim mit einem angeschlossenen Hospiz umgebaut werden. Ich werde hier Wohnrecht bis zum Lebensende haben. Wer etwas dagegen hat, sagt es mir bitte jetzt.“ „Wenn Vater es so wollte, dann wird es auch geschehen. Mein Einkommen ebenso wie das von Thomas ist so hoch, dass auch wir jedes Jahr problemlos einen ansehnlichen Beitrag zur Stiftung leisten können.“ „Ich stimme Frank vorbehaltlos zu. Wir werden alle einmal alt und sterben. Ich will in Würde mein Leben beenden und da ist ein Hospiz genau das Richtige. Wer weiß, ob unsere Kinder überhaupt fähig sind, uns bis an unser Ende zu pflegen.“ Der Vorschlag erntete stürmischen Beifall und ein Gast meinte: „Endlich einmal eine sinnvolle Möglichkeit um Steuern zu sparen.“ Manche schauten ihn kopfschüttelnd an, wussten aber, das er Recht hatte.
Fiona studierte mittlerweile Medizin und aus Dennis war ein begnadeter Klaviervirtuose geworden, der weltweit Konzerte gab. Eines Morgens fühlte sich Franni nicht wohl. Sie schob es auf die Hormonumstellung der Wechseljahre und achtete nicht weiter darauf. Dieses Unwohlsein besserte sich aber nicht und daher konsultierte sie eine Gynäkologin. Sie wurde untersucht und der Befund war eindeutig. Die Gynäkologin lächelte: „Ihr Befinden hat nichts mit den Wechseljahren zu tun. Sie sind schwanger.“ „Wie bitte? In meinem Alter? Ich bin einundfünfzig.“ „Heutzutage können Frauen bis fast zum sechzigsten Lebensjahr Kinder gebären.“ „Wenn ich heim komme, wird mein Mann sein blaues Wunder erleben. Dem werd‘ ich was erzählen.“ „Beruhigen sie sich bitte. Sie sind doch schon zweifache Mutter und wissen ja, wie das geht.“ „Keine Sorge, ich bin nur so überrascht und mein Mann hat ganz sicher nichts zu befürchten. Jetzt geht der Windeleinkauf wieder von vorne los und die Nächte ohne Schlaf sind in meinem Alter nicht mehr das Wahre. Egal, da müssen wir durch. Was mich nur stören könnte wären Äußerungen wie etwa: Sind sie mit ihrem Enkel unterwegs oder Hat das Kind aber eine junge Oma.“ „Sie schaffen das schon und lassen sie sich bitte den nächsten Termin zur Kontrolluntersuchung geben. Weiterhin alles Gute.“ „Vielen Dank.“
Mike fragte seine Frau, woher denn das Unwohlsein käme. Sie antwortete: „An Allem bist nur du Schuld. Ich hab‘ mich immer zurück gehalten.“ „Wobei denn?“ „Frag‘ doch nicht so dumm und vor allem frage bald deinen Nachwuchs.“ „Fiona oder Dennis?“ „Du bist doch zu blöd! Ich werde dir in einigen Monaten ein drittes Kind schenken.“ Mikes Gesichtsausdruck wechselte zwischen Unglauben, Verständnislosigkeit und Freude. Er war verdattert: „Du wirst Mutter? In deinem Alter? Sagenhaft!“ „Ich werde Fiona anrufen und sie unter einem halbwegs glaubhaften Vorwand herbitten. Vielleicht kann sie am Wochenende mit ihrem Freund herkommen.“ „Dennis müsste zurzeit in Südafrika sein. Den rufe ich heute nach dem Konzert an. Der wird bestimmt Augen machen.“ „Verrate ihm noch nichts, das möchte ich ihm selber sagen.“
Am Wochenende kamen Fiona und ihr Freund zu Besuch. Alle wurden herzlichst begrüßt und aufgefordert, sich zu setzen. Franni tat sehr geheimnisvoll: „Ich habe eine große Überraschung für euch.“ Fiona unterbrach sie: „Meine hingegen wird euch umhauen.“ „Weshalb denn?“ „Vor zehn Wochen haben Rico und ich in Las Vegas geheiratet. Vor Freude habe ich wohl die Pille vergessen und nun bin ich in der achten Woche schwanger. Da seid ihr platt.“ „Konntet ihr uns nicht wenigstens deswegen anrufen?“ „So ist die Überraschung aber viel größer. Was ist denn jetzt mit dir?“ „Ich bin auch in der achten Woche.“ Rico und Fiona sahen sich verdutzt an: „In dem Alter noch ein Kind?“ „Ja, denn Kinder halten jung. Spaß beiseite, es ist nun mal so.“ „Da können wir ja gemeinsam die Babyausstattung kaufen. Vielleicht bekommen wir sogar Mengenrabatt.“
Als Dennis nach zehn Tagen von seiner Tournee zurück kam, ließ er sich von seinem Vater am Flughafen abholen. Außer seinem Gepäck hatte er noch eine junge Dame dabei. Versehentlich begrüßte er seinen Vater auf Englisch: „Hi Dad. Thank you for coming. It’s nice that you take us home. This is Chrissie Davis my girlfriend. Oh, ich glaube ich sprach Englisch. Einen Moment. Das Ganze in Deutsch. Hallo Papa. Danke, dass du gekommen bist. Es ist nett von dir, dass du uns nach Hause bringst. Das ist Chrissie Davis, meine Freundin. Sie spricht leider kein Wort Deutsch.“ „Mein lieber Sohn, dein alter Vater beherrscht auch ein wenig Englisch. du hättest es mir nicht übersetzen müssen. Trotzdem freue ich mich, dich zu sehen. Hi Chrissie.“ Danach sprach Mike nur noch Englisch. Dennis traute seinen Ohren kaum. Das sein Vater so gut Englisch sprechen konnte, hatte er nicht gewusst.
Zu Hause luden Mike und Dennis zuerst das Gepäck aus dem Auto. Chrissie hatten sie schon vorgeschickt. Etwas zurück haltend begrüßte sie Franni mit ihren wenigen Worten Deutsch: „Guten Tag. Ick bin Chrissie Davis.“ Franni begrüßte sie sofort auf Englisch und nahm ihr die Scheu. Mit dem feinen Gespür einer Mutter wusste sie sofort, dass Chrissie ihre Schwiegertochter würde. Die danach folgenden Gespräche des Tages waren komplett Englisch und liefen etwa so ab: „Herzlich Willkommen Chrissie. Ich bin Franni, mein Mann heißt Mike und das sind Fiona und Rico. Du bist also Dennis‘ Freundin.“ „Ja und ich freue mich sehr, dass er aus einer so netten Familie kommt. Wir haben uns in New York beim Konzert kennen gelernt. Ich spiele Klarinette im Orchester. Seine Art zu spielen versetzt mich förmlich in Vibration. Nach dem Ende der Vorstellung ging ich zu ihm und bat ihn um ein Autogramm. Wir sahen uns nur an und vergaßen Alles um uns herum. Bis heute warte ich immer noch auf dieses Autogramm.“ „Wenn es dir so wichtig ist, bekommst du es auch noch. Reiche ich dir etwa nicht?“ „Manchmal schon.“ „Dennis, du weißt, was ich dir schon als Junge sagte, die Männer haben sich den Frauen unterzuordnen.“ „Völlig richtig. Mein Rico ist schon so gut dressiert, der frisst mir aus der Hand.“ „Mike gibt kaum noch Widerworte und ist sofort still, wenn ich ihn nur scharf ansehe.“ Mike sah Rico und Dennis niedergeschlagen an: „Wer geht mit einen trinken. Ich kann Alles nur noch betrunken ertragen. Wie sind wir doch mit unseren Frauen geschlagen.“ Mit betrübtem Gesichtsausdruck standen die drei Männer auf und wandten sich zur Tür. Franni schimpfte und drohte: „Wenn ihr euch nicht sofort wieder setzt, gehen wir mit einen trinken.“ Wie geprügelte Hunde sahen sie aus, setzten sich wieder hin und seufzten: „Womit haben wir das nur verdient? Es gibt keine Freude mehr und das Leben wird unerträglich.“ „Ihr hättet doch Junggesellen bleiben können. Hat Fiona Rico etwa zur Heirat gezwungen? Wer wollte denn unbedingt Fräulein Baumann heiraten?“ „Wenn ich gewusst hätte, was auf mich zukommt, wäre ich niemals nach Las Vegas geflogen. Liebe Fiona, darf ich wenigstens auf mein Zimmer gehen?“ „Nein! Du wartest bis nach dem Abendessen. Wenn du artig warst, erlaube ich es dir vielleicht.“ „Dennis, du hast es gehört. Wenn du nicht spurst, gibt es Ärger. Das Beste ist, du fügst dich in dein Schicksal.“ „Mit den Frauen hast du nur Elend, leider aber auch ohne. Wir Männer sind zwar hart, die Frauen hingegen ohne Erbarmen. Gnade gibt es für uns arme, geschundene Kreaturen nicht. Wir müssen unter der Fuchtel der Frauen bis an unser Ende leiden.“ „Ihr und leiden. Wenn die Männer die Kinder bekommen müssten, wären die Menschen schon lange ausgestorben. Wenn ihr nur einen kleinen Kratzer habt, der ein wenig blutet, meint ihr schon, daran würdet ihr sterben. Wer kümmert sich denn fast immer um die Kindererziehung? Ihr geht nur arbeiten und braucht danach nichts mehr zu tun. Unser Tag hat meistens sechzehn Stunden und mehr. Zu vielen Dingen seid ihr eigentlich völlig unnötig aber was soll’s. Es gibt euch nun einmal und daran ist nichts zu ändern. Leider gibt es ohne euch keinen Nachwuchs und das ist unumgänglich für das Überleben der Frauen.“ „Sind wir hier auf einem Feministinnenseminar? Glaubt ihr an das, was ihr da sagt? „Sicher glauben wir daran.“ Chrissie konnte sich nicht mehr halten vor Lachen. Fiona beherrschte sich mühsam und Franni dozierte: „Heute machen wir zur Feier des Tages mal eine Ausnahme. Lassen wir unsere Männer mal von der Leine. Sie wissen schon automatisch, wo es ihnen am Besten geht. Zur Belohnung dürfen sie heute entscheiden, was es zu Abend gibt.“ Dann prustete sie los und Alle fielen in das Gelächter ein.
Nach dem Abendessen, dass von einem chinesischen Lokal geliefert worden war, begaben sie sich auf die Terrasse. Das kurze Gewitter hatte die Luft gereinigt und für eine angenehme Temperatur gesorgt. Franni nahm Dennis beiseite: „Ich lasse mich überraschen, wann du mich zur Oma machst.“ „Ich kenne Chrissie doch erst seit zwei Monaten.“ „Es ist aber zu befürchten, dass daraus lebenslänglich wird.“ „Warten wir ab, wie es sich entwickelt.“ „Nebenbei bemerkt, ich bin schwanger.“ „Was? Willst du mich auf den Arm nehmen?“ „Zum einen bist du mir zu schwer und zum anderen bin ich in der zehnten Woche.“ „Du sprichst hier von Oma und dann hauen mich deine Worte fast um.“ „Unterhalte dich doch mal mit Fiona. Die kann dir auch noch etwas Umwerfendes mitteilen.“ „Gut. Das mache ich.“ Er bat sie zu sich: „Mutter meinte, du könntest mich überraschen.“ „So gesehen schon. Aber ich glaube nicht, dass dich das sehr interessiert. Ist auch nicht wichtig.“ „Woher weißt du, was mich interessiert?“ „Wenn du ‘s denn unbedingt wissen willst. Seit etwa zwölf Wochen bin ich mit Rico verheiratet und in der zehnten Woche schwanger.“ Dennis schaute sie an, schüttelte den Kopf und sagte nur noch: „Ich bin fertig. Ist das etwa ansteckend? Du tust so, als wenn nichts wäre und dann bist du genau wie Mutter schwanger. Mein lieber Schwan.“ „Bist du mir böse?“ „Eigentlich schon aber wenn du mich so ansiehst, kann ich dir nichts mehr krumm nehmen. Du weißt genau, wie du mich weich klopfen kannst. Was das Schlimmste dabei ist, du kommst damit auch noch durch.“ Er umarmte seine Schwester: „Ich wünsche euch beiden oder dreien alles Gute. Werdet ebenso glücklich miteinander wie unsere Eltern. Unglaublich, ich werde Onkel. Das ich das noch erleben durfte.“ „Du junger Spund. Gerade erst Anfang zwanzig und schon solche Sprüche.“ „Als werdender Onkel muss ich mich eben entsprechend verhalten.“ „Blödmann. Werde erst mal erwachsen so wie ich.“ „Ich gehe zu Chrissie. Mit dir kann ich nicht vernünftig reden.“ „Ah, du gehst dich ausweinen. Typisch Mann, obwohl Männer nicht weinen. Das machen nur diese gefühlsduseligen Softies.“ „Eines Tages drehe ich dir den Hals um und weißt du warum?“ „Nein aber das sagst du mir gleich.“ „Auch deswegen. Hauptsächlich aber um dir zu zeigen, dass ich kein Softie bin.“ „Das bringst du nicht fertig. Dafür bist du viel zu lieb.“ „Noch nicht mal für voll nimmst du mich.“ „Warum sollte ich? Du bist doch mein kleiner Bruder. Kleinere Brüder werden entweder vertrimmt oder man mag sie. Vertrimmt habe ich dich nicht aber mochte ich dich? Manchmal schon und so gesehen hätte ich gar keinen anderen Bruder haben wollen. Ich liebe dich zwar nicht wie Rico, sondern anders.“ „Danke für das Kompliment. Übrigens, feierst du deine Hochzeit nach und wenn, wo?“ „Ich glaub‘ schon. Vielleicht sogar hier wenn ich darf. Ich frag‘ Mutter.“ „Wird Papa nicht gefragt?“ „Der ist immer damit einverstanden, wenn Mama zustimmt.“ „Also doch ein armer Unterdrückter.“ „Verrate es ihm nicht. Lass‘ ihn in dem Glauben, er hätte hier das Sagen.“
Fionas Kind, ein Sohn kam fünf Tage vor Frannis Tochter auf die Welt. Rico war sehr stolz auf seinen Erstgeborenen. Sie nannten ihn Philipp und Frannis Kind hieß Linda. Natürlich neckten sich die beiden Kinder immer, wenn sie zusammen kamen. Jedes Mal rief Philipp zur Begrüßung: „Da kommt Tante Linda, da kommt Tante Linda.“ „Du bist ein ganz alter Neffe und weißt schon nicht mehr, was du redest.“ Die Beiden entwickelten sich gut, nur Linda war genau so eigensinnig wie Mutter und Vater zusammen. Selbst die bestgemeinten Ratschläge ignorierte sie und in der Schule war sie wie ihr Vater. Für ihre hohe Intelligenz war der normale Lehrstoff völlig unzureichend und deshalb langweilte sie sich in der Schule nur. Sie hatte ein phänomenales Gedächtnis und erkannte blitzartig alle Zusammenhänge. Schnellstens wurde sie durch zusätzliche, ihren Fähigkeiten entsprechende Aufgaben gefordert und gefördert. Schon mit acht Jahren besuchte sie das Gymnasium und machte mit zwölf ihr Abitur. Danach studierte sie Astrophysik und nebenher noch Mathematik sowie vergleichende Religionswissenschaften. Philipp war auch ein guter Schüler, erreichte aber bei Weitem nicht das Niveau Lindas. Er studierte nach seinem Abitur Mathematik.
Mit knapp zwanzig Lebensjahren hatte Linda einen Lehrstuhl für Mathematik und einen für Astrophysik an der Universität. Ihre Vorlesungen waren sehr beliebt, denn sie brachte die Lerninhalte auf eine unnachahmliche Weise Jedem nahe. Ihre natürliche Autorität sorgte immer für einen disziplinierten Ablauf und ihr anspruchsvoller aber feiner Humor ließ die Zuhörer an ihren Lippen hängen. Die älteren Dozentinnen und Dozenten waren teilweise neidisch, wie eine so junge Frau mit Leichtigkeit die Studentinnen und Studenten für sich einnehmen konnte. Besonders die Diskussionsabende, eine Einrichtung, die Linda ins Leben gerufen hatte, waren heiß begehrt. Sie ließ keinen Zweifel aufkommen, wer die Diskussionen leitete und wahrte immer die Distanz. Nur als ihr Neffe Philipp dort mit dem Studium begann, wurde es anfänglich etwas schwierig. Wie gewöhnlich sprach er sie mit Tante Linda an. Sofort hielt sie inne und machte ihn höflich aber bestimmt darauf aufmerksam, sie hier nur mit Linda anzureden. Er entschuldigte sein Versehen und benahm sich danach im Hörsaal ausgezeichnet. Nach einem Diskussionsabend blieb er bis zum Schluss und begleitete sie bis zum Auto. Begeistert meinte er: „Es ist unbeschreiblich wie du uns an deinem Wissen Teil haben lässt und wie du es ‘rüber bringst. Du bist die beste Tante, die ich habe.“ „Hast du es wieder geschafft mich Tante zu nennen. Und auch noch so, dass ich dir nicht böse sein kann. Wie früher neckst du mich auch heute noch.“ „Ich mag dich eben sehr.“ „Für dieses Mal begnüge ich mich mit einem mündlichen Verweis aber beim nächsten Ausrutscher gehst du mit mir essen. Verstanden?“ „Jawohl Frau Professor.“
Michael und Franziska Kaiser waren mittlerweile über fünfundsiebzig Jahre alt geworden und seit über zehn Jahren genossen sie ihren wohlverdienten Ruhestand obwohl der eher als Unruhestand bezeichnet werden müsste. Sie hielten sich nicht für alt, verbraucht und zu nichts mehr nütze. Im Gegenteil, denn Mike half manchmal noch im Zoo aus und Franni konnte sich nicht endgültig von ihrer Tierarztpraxis trennen, die jetzt von dem Sohn eines ihrer Studienkollegen geleitet wurde. Ein großes Ereignis warf seine Schatten voraus, denn die Goldhochzeit stand an. Alle Einladungen waren schon verschickt worden und die ersten Antwortschreiben trafen ein. Bisher hatten Alle zugesagt und wenn alle Gäste kämen, wären etwa 250 Leute auf der Feier. Dennis hatte es sich nicht nehmen lassen, für die musikalische Unterhaltung zu sorgen. Er hatte einige Kollegen gebeten, ihn zu unterstützen und spontan hatten sie sich dazu bereit erklärt. Chrissie war bei der Geburt ihres ersten Kindes gestorben aber ihr Sohn Malcolm war ein Musikgenie geworden. Er spielte zwar nicht so gut Klavier wie sein Vater aber dafür fast alle Instrumente, die es gab. Trotz seiner erst achtzehn Jahre hatte er schon mehrere erfolgreiche Musikstücke auf den Markt gebracht und dadurch sehr viel Geld verdient. Auch er musizierte bei seinen Großeltern auf der Feier. Fiona und Rico hatten außer Philipp noch eine Tochter, die Monika hieß.
Fast alle eingeladenen Gäste waren erschienen. Die Feier begann mit einer Messe im Dom. Danach war Mittagessen in einem Gasthof mit internationaler Küche. Gegen fünfzehn Uhr gab es im großen Garten hinter dem Haus Kaffee und Kuchen. Sogar die Sonne gab ihr Bestes, um zum Gelingen des Festes beizutragen. Franni sah Mike an: „Weißt du noch, wie es auf unserer Hochzeit geschüttet hat?“ „Im Nachhinein habe ich diesen Regen als Segen begriffen.“ „Dieses Unwetter nennst du nur Regen?“ „Wenn ich dir die Wahrheit sagen soll, dieses Wetter hat meiner Meinung nach unsere Ehe widergespiegelt.“ „Was? Waren unsere gemeinsamen Jahre etwa nur ein Unwetter für dich?“ „Wenn ich jetzt etwas Falsches sage, muss ich wieder unter den Tisch und bekomme Hausarrest.“ „Du Pfeife. Komm‘, sei ehrlich. War es wirklich so schlimm.“ „Nein, natürlich nicht. Vor fünfzig Jahren hat auch noch die Sonne zur Feier des Tages durch die Wolken geblinzelt. Das hattest du wohl vergessen.“ „Ganz sicher nicht. An dem Tag war mir das Wetter völlig schnuppe, denn ich bekam ja dich zum Ehemann.“ „Rückblickend kann ich ohne Übertreibung sagen, dass unsere Liebe auch Achtung vor dem Partner beinhaltet und letztendlich blieb sie uns bis heute erhalten. Manchmal haben wir uns gestritten wie die Weltmeister aber die Versöhnung war immer wieder schön.“ „Besser hätte ich es als Frau Dr. auch nicht ausdrücken können.“ „Musst du mir schon wieder vorwerfen, dass du einen Doktortitel hast und ich noch nicht einmal Abitur?“ „Das kann ich nicht oft genug betonen, denn animalische Männer ohne Bildung haben es mir eben angetan. Was glaubst du wohl, warum ich Tierärztin geworden bin?“ Die letzten Sätze hatte Linda mitbekommen und äußerte sich umgehend dazu: „Liebe Eltern, ich bin froh, dass ich Mutters Verstand und Vaters Auffassungsgabe geerbt habe. Als hochintelligente Frau muss ich mich auch immer mit geistig minderbemittelten Männer herum ärgern, besonders mit meinem Neffen Philipp.“ Der hatte gehört, dass Linda von ihm sprach und stellte sich auch zu diesem kleinen Kreis: „Lieblingstante Linda, lobst du mich wieder in den höchsten Tönen?“ „Habe ich es nicht gesagt? Überheblich, dumm daher redend und von nichts eine Ahnung. Eben ein Mann.“ „Wenn du nicht meine Professorin wärst, würde ich dich von der Uni jagen. Gegen die männliche Stärke ist jede Frau machtlos.“ „Einen Moment bitte.“ Linda erhob ihre Stimme und bat um Aufmerksamkeit: „Das ist kein Spiel jetzt sondern eine Entscheidung auf Leben und Tod. Die Männer stellen sich bitte hier rechts hin und die Frauen links. Wenn alle soweit sind, werde ich eine Frage stellen.“ Sie wartete ein wenig: „Gut. Welcher Mann meint, dass er stärker ist als seine Frau? Bitte vortreten. Danke.“ Alle Männer waren vorgetreten. Linda wandte sich nach links: „Jetzt frage ich die Frauen. Wer meint, dass Männer überheblich sind, dumm daher reden und zu fast nichts nütze? Bitte vortreten. Danke.“ Alle Frauen waren vorgetreten. Genüsslich lächelnd wies sie auf die Frauen: „Da seht ihr den Beweis. Männer sind zwar körperlich stärker aber sonst sieht ‘s sehr traurig aus. Vielen Dank für diese Demonstration. Liebe Frauen, habt Mitleid mit euren Männern und seid nicht so streng mit ihnen, denn sie wissen meistens nicht, was sie tun.“
Es war eine Alles in Allem gelungene Feier und wochenlang zehrten sie noch davon. Mittlerweile war es November geworden. Franni und Mike saßen im Wohnzimmer am Kachelofen gemütlich auf der Ofenbank. Hinter ihnen zischte, prasselte und knackte das Feuer und verbreitete eine wohlige Wärme. Bei einem Glas Rotwein schwelgten sie in Erinnerungen aber nur kurz. Mike nahm Frannis Hand und schaute ihr liebevoll in die Augen: „Was haben wir nicht alles gemeinsam durchgestanden. Wir kennen und lieben uns nun schon weit über fünfzig Jahre und doch meine ich, dass wir uns erst gestern zum ersten Mal gesehen haben.“ „Es geht mir manchmal genauso. Wo sind die Jahre geblieben? Jetzt kommt nur noch eine Prüfung auf uns zu. Die größte von allen“ „Ich habe mich gefragt, wem wohl die unumgängliche Trennung durch den unvermeidlichen Tod schwerer fallen wird. Was macht der oder die Hinterbliebene?“ „Einfach wird es nicht sein aber wenn wir in Trauer versinken machen wir die Sache noch viel schlimmer. Ich weiß, wir sollten nur die schönen Stunden zählen aber ohne die anderen würde im Leben etwas fehlen.“ „Die Seele bleibt erhalten, nur der Körper stirbt und daher gehe ich davon aus, dass wir uns bestimmt auf einer anderen Ebene wieder begegnen werden.“ „Das glaube ich nicht, denn Frauen kommen in den Himmel und die Männer gehen zum Teufel.“ „Du und in den Himmel! Das kann nicht sein.“ „Wenn ich es mir so überlege wird es im Himmel wohl sehr langweilig sein. Als Einzige da oben. Mit wem soll ich mich dann unterhalten?“ „Mach‘ nur so weiter und werden uns beim Teufel wiedersehen. Extra für dich werde ich dann dort ein besonders starkes Feuer entfachen und den Ofen bis zum Bersten heizen.“ „Wirst du auf deine alten Tage noch zum Pyromanen?“ „Nein aber ich sorge doch fast immer für den Kachelofen und halte das Feuer in Gang.“
Als Mike nach der Diamantenen Hochzeit im Alter von 89 Jahren starb, war es Franni nicht mehr vergönnt, Alles bewusst mit zu erleben, denn sie litt an der Alzheimerschen Krankheit. Sie dämmerte dem Tod entgegen und folgte Mike bald nach. Ob sie in den Himmel oder Mike in die Hölle gekommen ist, wer weiß? -------------------------------------------------- Ich wünsche allen Wesen Wohlgefühl. Wer kuschelt, kann nicht streiten.
An Deiner Stelle würde ich entweder drastisch streichen oder eine noch viel längere Geschichte schreiben...
Lass Dir Zeit... da könntest Du viel rausholen, mehr in die Tiefe gehen, momentan wirkt es recht abgehetzt auf mich (Das Tempo eignet sich eher für ganz kurze Geschichten)
Ich fühl’ mich wohl, ich bin geborgen, was stören mich noch meine Sorgen? Geborgenheit ist doch so schön, auch wenn die kalten Winde weh’n.
Geht’s mir mal nicht besonders gut und hab in mir die große Wut, so schau ich mich von außen an und frage mich, wie das wohl kann.
Ich gehe in das eine Zimmer und blicke in den Spiegel immer. Dort seh ich meine Augen dann und fange mit dem Lächeln an.
Die Wärme mir entgegen springt, ich spüre, wie die Seele singt. Es ist so unvergleichlich schön, sie selbst im Lächeln anzuseh’n.
Geborgenheit geb’ ich gern weiter und trag’ sie bis zur Himmelsleiter. Geteilt wird sie unglaublich viel, dadurch das Leben wird zum Spiel. -------------------------------------------------- Ich wünsche allen Wesen Wohlgefühl. Wer kuschelt, kann nicht streiten.
Manchmal ist mein Weg steinig und manchmal steil. Ich gehe ihn, wie er vor mir liegt, ausweichen ist unmöglich.
Umwege machte ich auch schon. Fehler sind Umwege. Umwege sind Erfahrungen. Erfahrungen sind wertvoll.
Von vielen Menschen bekam ich Ratschläge und ebenso viele gut gemeinte Worte. Genutzt haben mir kaum welche, die Menschen reden zuviel.
Ich lausche meiner inneren Stimme und verlasse mich auf sie. Einen besseren Kompass wird keiner finden, denn es ist die Stimme der Seele.
Die Blumen am Wegesrand sind oft unscheinbar, doch sie duften so allerliebst. Hinschauen ist wichtig und gut, ich könnte sonst was übersehen.
Meinen Weg kann mir niemand abnehmen. Wenn ich stolpere, hab ich was übersehen. Wenn ich hinfalle, steh ich wieder auf. Ich allein weiß, dass ich ihn bewältigen kann.
Andere Menschen begleiten mich zwar, aber auf ihrem eigenen Weg, nahe bei mir. Manche lieben mich, andere verachten mich, aber ich gehe weiter meinen Weg.
Ich werde noch lernen, mich ganz zu lieben. Manche Dinge habe ich verdrängt. Sie machten mir Angst. Aber sie gehören auch zu mir.
Neben mir ist noch viel Platz, jeder Begleiter ist mir willkommen. Es gibt so viele Wege wie Menschen. Du gehst deinen und ich meinen.
-------------------------------------------------- Ich wünsche allen Wesen Wohlgefühl. Wer kuschelt, kann nicht streiten.
Am kleinen Bach, der in Windungen durch den Wald floss, war es so friedlich. Die Sonne schimmerte durch die Blätter und warf helle Flecken auf den Waldboden. Sie glitzerte im Wasser. Doch wo waren die Tiere geblieben? Kein Vogel sang und kein Fisch war zu sehen. Da plötzlich war ein Platschen zu hören. Es war Mick, der junge Fischotter und die Neugier in Person. Er untersuchte alles und jedes und war äußerst vorwitzig. Etwas hatte ihn erschreckt, denn er schwamm rasend schnell durch den Bach zum Bau. Aus sicherem Versteck beobachtete er, was vorging. Etwas Graues auf vier Beinen ging langsam durch den Wald. Was war denn das für ein Tier? Jetzt kam es zum Trinken an den Bach, fast direkt gegenüber von Micks Versteck. In sicherer Entfernung ging er an Land und wollte verschwinden, doch seine Neugier war stärker. Durch den Bach schwamm er auf das Wesen zu und fragte es, wer und was es wäre. Mit freundlicher Stimme antwortete es: „Hab keine Angst, ich bin Klaus, der Wolf, ich esse nur Beeren und Kräuter. Ich liebe meine Mitgeschöpfe und tu keinem was zuleide. Einen langen Weg habe ich hinter mir und viele Erfahrungen durfte ich sammeln sowie große Herausforderungen bewältigen. Ich fühle mich wohl hier und überall habe ich Freunde gewonnen. Du bist also der Mick.“ „Woher kennst du meinen Namen?“ „Ich kann Gedanken lesen und du fürchtest dich vor mir, aber deine Neugier hat dich zu mir getrieben.“ Verblüfft schaute Mick ihn an. Ein Wolf, der Beeren aß? War das normal? Klaus lächelte ihn an: „Ich bin normal, aber nicht so, wie du ‚normal’ verstehst. Du meinst, dass das Normale das ist, was die Masse der Wesen macht. Daher bin ich ver-rückt, anders gesagt, ich habe meine eigene Wahrheit und nur die ist für mich gültig. Das erschreckt viele Wesen und sie sagen, dass ich nicht richtig sein kann, wenn ich mich verhalte, wie ich glaube, dass es richtig ist.“ Mick staunte nur noch, seine Angst war völlig verflogen und er verließ das Wasser. Ein Wolf, der das Normale als verrückt bezeichnete, konnte nur harmlos sein. Klaus schaute ihn an: „Stimmt, ich bin harmlos. Aber nicht das Normale ist verrückt, sondern meine Ver-rücktheit ist normal. Ich bin der sogenannten Normalität abgerückt und habe erkannt, das ich so am besten leben kann.“
Ein Knacken, Brechen und Johlen ertönte. Mick raste zurück in den Bach und tauchte ganz schnell unter. Kinder liefen lautstark durch den Wald und sahen Klaus am Bach trinken. Sie riefen: „Seht mal diesen schönen Hund. Den streicheln wir mal.“ Wie scheinbar zutraulich kam Klaus an und ließ sich streicheln. Er liebte diese Momente, wenn er mit einem Hund verwechselt wurde und genoss die Streicheleinheiten. Bald darauf ließen die Kinder von ihm ab und er ging seines Weges.
Tage später kamen wieder Menschen in den Wald und sahen Klaus. Sofort wollten die beiden Kinder auf ihn zu und ihn streicheln: „Mama, Papa, da ist ein lieber Hund, den sehen wir uns an.“ Blitzartig rannten sie los und waren im Nu bei Klaus, der sich streicheln ließ. Vor Schreck ganz starr sahen die Eltern, dass Klaus ein Wolf war. Sie machten langsame Bewegungen auf einen großen Stock zu. Gleichzeitig vernahmen sie im Kopf eine Stimme: „Wovor habt ihr Angst? Ihr braucht keinen Stock, ich beiße nicht und liebe Kinder. Kommt auch her zu mir.“ Sie schüttelten den Kopf. Woher kam diese Stimme? Hatten sie einen Sonnenstich? „Ja, ich bin es. Dieser ach so gefährliche Wolf kann Gedanken lesen und auch mit anderen Wesen über Gedanken Kontakt aufnehmen. Glaubt es ruhig, so unwahrscheinlich es auch ist.“ Entschlossen liefen sie auf den Wolf zu. Da nahm er die Kinder bei den Jacken und zerrte sie weg. Sofort waren die Eltern hinter ihm her. Da krachte es und ein Baum fiel auf die Stelle, wo sie gerade noch gestanden hatten. Klaus hatte die Kinder sofort losgelassen, als er die Eltern in Sicherheit wusste. Dieser Schock war zuviel für sie und sie mussten sich erst einmal setzen. Zu den Kindern sagte Klaus in Gedanken: „Geht zu euren Eltern, sie brauchen euch dringend.“ Schnell kamen sie seiner Aufforderung nach und umarmten ihre Eltern. Die Mutter sagte: „Das glaubt uns kein Mensch. Zuerst ein Wolf, der Gedanken liest, danach unsere Rettung und er schickt uns unsere Kinder, die uns umarmen. Das ist doch verrückt.“ „Stimmt und ich weiß, dass ihr genau das gebraucht habt. Soll ich euch mal einige Reime vortragen?“ Fassungslos schauten alle auf Klaus. Noch mehr Wahnsinn? Aber was sollte es? Sollte er vortragen, was er wollte. „Ich danke euch, dass ihr mir zuhört besser gesagt, meinen Gedanken folgt. Also:
Menschen bekommen Kinder, wie sie sagen: aus Liebe. sie versorgen die Kinder und versetzen damit deren Seele schwere Hiebe. Füttern, wickeln, baden, erziehen und kleiden, welch ein Leiden für die Kleinen. Stehen sie eines Tags auf , wie Mensch sagt, eigenen Beinen, so fühlt die einst reine kindliche Seele Freiheit aus dem Inneren heraneilen. doch meist lässt er sie kaum in sich verweilen. Schade um das reine Wesen, das er einst gewesen. Eindrücke von außen verwirren und lassen die Wesen irren. Hauptsache von außen stimmt das Bild, auch wenn von innen 'Warnung' steht auf einem mahnenden Schild. So scheint die Menschheit von heute halt zu sein, jeder wahrt den äußeren Schein, leben in einer 3D-Utopie scheinbar endet sie wohl nie!
Was meint ihr dazu?“
Die Eltern trauten sich nicht, was zu sagen. Das ging nicht mit rechten Dingen zu. Die Kinder riefen: „Wie schön. Bitte mehr davon.“ Schon trug Klaus noch Weiteres vor:
„Meine Seele rein wie der Strahl der Sonne, welch eine Wonne. Meine Worte rein und klar wie das Himmelszelt, wäre es doch wunderschön, wäre es so auf der ganzen Welt. Krankheit und Kriege gehören zu Gestern und nicht zu Heute. Das wäre schön, ruft die ganze Meute. Menschen wünschen sich das Leben wäre zeitlebens schön und angenehm. Doch sie spüren kaum, dass sie es sich selber unangenehm dreh'n. Im Ursprung haben Menschen das Paradies auf Erden, doch der Mensch baute es sich um und ließ es zu seiner eigenen Hölle werden. Der Mensch ist dabei, dies zurück zu dreh’n, wie schön! Doch kaum einer möchte es wirklich seh’n, aus Angst in eine ungewohnt schöne Zukunft zu sehen. Für Menschen ist anders als gewohnt meist schlecht, doch dies zu beurteilen: Wer gibt ihnen dazu das RECHT???
Den Eltern rollten die Tränen über die Wangen. Warum berührten diese Worte sie nur so tief? Die Kinder gaben unbewusst die Antwort: „Mama und Papa, das Paradies möchten wir auch haben. Wann bekommen wir es?“
Klaus gab noch mehr Weisheiten von sich: „Menschen haben Gefühle, die Unwohlsein verursachen. Gefühle sind innerlich, wieso sucht Mensch äußerlich nach Wohlsein??? Wohlsein wie auch das Gegenteil sind in uns SELBST. Unser Selbst ist wie eine Waage. Körper auf der einen Seite, Seele/Wesen auf der anderen. Dies gehört in Einklang und ergibt unser Selbst = Wohlsein.
Wie gebannt lauschten sie dem letzten Gedicht von Klaus: „Als kleine Menschen lieben wir alles und jeden, wer spricht uns das ab und auch dagegen? Nichts und niemand würden die meisten sagen in diesen Tagen. Und doch ist es so mit uns geschehen, wie das anfing, lasst es uns näher ansehen. Erfahrungen nennen Menschen das, was sie erleben und bei denen sie danach streben, dass bloß alles geht normgerecht und nie daneben. doch niemals eine Norm ist für alle Menschen gemacht, deswegen werden unwohle Erfahrungen von viel zu vielen Menschen gemacht. Verständnis fehlt wofür sie leben, existieren rein für normgerechtes Streben, doch dies geht daneben. Nach Wurzeln des Unwohls wird geforscht, dauert zu lang, der Mensch wird dadurch morsch. Doch möchte jeder seines Kindes Bestes also schützen wir sie vor schmerzen. Gute Erfahrungen braucht es, keine schlechten also halten wir schützend die Hand bevor sie in Berührung kommen mit dunklen Mächten.“
Die Eltern waren vollkommen sprachlos. Wie konnte ein Wolf so etwas wissen? Ihr Weltbild war total erschüttert. Nur die Kinder umarmten Klaus und waren traurig, als er verlassen wollte. „Tragt diese Weisheit in die Welt und sie wird sich ändern. Sie wird zum Paradies für alle Wesen auf ihr. Wenn ihr mich braucht, ich bin in eurer Nähe. Ein Gedanke an mich und ich bin bei euch.“
Mit diesen im Kopf sich formenden Worten lief Klaus fort und verschwand lautlos im tiefen Wald. Nur die Sonne hatte gesehen, wohin er gegangen war.
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Ich schrieb für jene dieses Gedicht, die schwer es haben im Leben. Sie lassen das Zweifeln einfach nicht und das ist ihr Fehl eben.
Soll ich es nicht oder soll ich es doch, warum oder warum auch nicht. So fragen vor- und nachher sie noch, bis ihnen aufgeht ein Licht.
Die Frage, die nächste, sie wartet schon, ich bin mir dessen gewiss, was oder auch nicht hab‘ ich davon, ob oder ob nicht ich’s vermiss‘?
Die Zeit im Fluge vergangen ist, der Fragen waren gar viel, die Lösung nicht greifbar gewesen ist, hatten die Fragen ein Ziel?
Was bringen die dauernden Zweifel mir? Liegt in ihnen ein Sinn? Haben geholfen sie schon mal dir? Ich seh‘ keine Lösung darin.
Was soll die dauernde Zweifelei? Soll ich mir das denn zumuten? Am Ende ist alles einerlei und wendet sich hin zum Guten.
Alle Dinge sich selbst überlassen, ist ebenso ohne Sinn. Die Zweifel niemals dein Herr werden lassen, die Weisheit liegt einfach darin. -------------------------------------------------- Ich wünsche allen Wesen Wohlgefühl. Wer kuschelt, kann nicht streiten.
Sabin ---------------------------------------------------------------------------------------------------- Lebe mit der Natur im Einklang Du wirst hören was dir die Naturgeister erzählen und sie im Sonnenlicht tanzen sehen. Ein wunderbares Gefühl wird in Dir wach. Sabin die Waldfee
Fröhlich pfeifend wie jeden Morgen verließ Thomas Müller, genannt Tom, sein Haus. Mit seiner guten Laune selbst um diese Tageszeit ging er seiner geliebten Frau Heidi lieber aus dem Weg. Sie war ein Morgenmuffel und brauchte mindestens zwei Stunden um richtig auf Touren zu kommen. Wie jeden Tag fuhr Tom mit dem Zweitwagen, einem gebrauchten Audi A4 TDI zur Arbeit, denn dort wo er wohnte gab es keine Stelle für ihn. Er war Maschinenbauingenieur und bei einer großen Firma als leitender Mitarbeiter in der Forschungsabteilung beschäftigt. Viel konnte ihn nicht aus der Ruhe bringen und darum wurde er oft als Schlichter bei Meinungsverschiedenheiten eingesetzt. Die Kollegenschaft sah ihn gern und seine guten Ideen in fast allen Lagen machten ihn auch bei der Geschäftsleitung beliebt und unentbehrlich. Leider musste er oft Überstunden machen und hatte nicht mehr viel Zeit für seine Familie.
Die Wochenenden gehörten ausschließlich seiner Frau und den Kindern sowie der Pflege der Freundschaften. Seine Kinder hießen Linda und Jörg. Linda war acht und Jörg sechs Jahre alt. Sie waren gut erzogen und hörten aufs Wort, wenn auch nicht immer aufs erste. Die Freunde der Familie kamen zwar selten zu Besuch, aber dafür war der Empfang um so herzlicher. Ein befreundetes, kinderloses Ehepaar, die Schäfers, welches im Nachbarort wohnte, schaute auch schon mal uneingeladen herein. Es waren sehr nette Zeitgenossen, wenn sie auch oft belächelt wurden. Ihre Ansichten über das Leben waren schon seltsam. Sie bemühten sich zwar, ihre Mitmenschen nicht zu bekehren oder ihnen mit ihrer Meinung auf den Geist zu gehen, aber einige Male kam es doch zu verständnislosen Gesichtern. Manchmal fragte sich Heidi wie Tom an diese Menschen geraten war.
Eines Tages besuchte Familie Müller auf ausdrücklichen Wunsch die Schäfers. Am Nachmittag gab es auf der großen Terrasse mengenweise Kaffee und Kuchen und am Abend wurde diesmal in einer Pizzeria gegessen. An diesem Tag war herrlichstes Grillwetter aber die Schäfers waren gefährliche Vegetarier. Sie duldeten in ihrem Haus kein Fleisch, denn sie waren der Meinung, dass es viel zu viele Tiermästereien und Tiertransporte gab. Mit anderen Worten, sie hielten den sogenannten Genuss von Fleisch für barbarisch und außerdem für einen Rückfall in die Steinzeit. Sie aßen auch keinen Fisch, denn sie wollten nicht, dass für ihre Ernährung irgendein Tier getötet wurde. Selbstverständlich waren sie Nichtraucher, backten selbst ihr Brot und hatten einen großen Gemüse- und Kräutergarten hinterm Haus. Sie waren sehr religiöse Menschen und lebten das, was im Neuen Testament unter Nächstenliebe verzeichnet war. Zusätzlich wussten sie eine Menge über alle anderen Weltreligionen und hatten daher eine Einstellung zum Leben, die natürlich in der westlichen Welt, die hauptsächlich auf Besitztum beruhte, für Verständnislosigkeit und mancherlei Unruhe sorgte. Zum Beispiel glaubten sie an die Wiedergeburt der Seele in anderen Körpern, das der Tod im Diesseits das Leben im Jenseits bedeutete und umgekehrt, jeder Mensch sei für sein Schicksal ganz allein verantwortlich und so weiter.
Nach diesem schönen Tag, vor allem für die Kinder, fuhr Heidi die Familie zurück nach Hause. Tom war froh, wenn er mal nicht zu fahren brauchte. Er hatte zur Pizza etwas Rotwein getrunken und zum Schluss noch mit Heinz und Lydia Schäfer einen Grappa. Anschließend verließen sie das Restaurant, spazierten gemeinsam den kurzen Weg zum Auto, einem Renault Espace, den sie bei den Schäfers geparkt hatten und stiegen nach herzlicher Verabschiedung ein.
Heidi war eine sehr gute Fahrerin und konnte mit dem Auto ausgezeichnet umgehen. Sie hatte auch schon einige Verkehrssicherheitskurse absolviert, ebenso wie auch Tom. Die Heimfahrt hätte bald böse geendet, denn auf der Landstraße kam es zu einem Beinaheunfall. Ein Fahrer hatten einen anderen überholt und wohl die Müllers zu spät gesehen. Mit Müh‘ und Not konnte er sein Auto noch herumreißen und einen Zusammenstoß verhindern. Wenn Heidi aber nicht sofort eine Notbremsung und ein Ausweichmanöver gemacht hätte, wäre es wohl schlimm ausgegangen, denn der andere Wagen schleuderte hin und her. Mit klopfendem Herzen und nervlich sehr angespannt brachte Heidi ihre Lieben heim. Die Kinder waren schon wieder obenauf und lachten vergnügt: „Mama, das war ja toller als auf der Achterbahn. Kannst du das noch mal machen?“ Was sollte Heidi darauf sagen? Sie antwortete erschöpft: „Nein, das mache ich nicht. Wir sind gerade mit dem Leben davon gekommen und ihr redet so. Ich bin aber froh, das euch allen nichts passiert ist.“ Tom bedankte sich bei ihr: „Das war sagenhaft, wie du reagiert hast. Aus meiner Sicht musst du das in solch einer Situation noch mal machen. Vielen Dank Liebling.“
Am nächsten Tag stand in der Zeitung, dass ein wahnsinniger Autofahrer die Landstraße unsicher gemacht und etliche Menschen gefährdet hatte. Es wurden Zeugen gesucht, die diesen Fahrer oder sein Fahrzeug erkannt hätten. Darauf hin rief Tom in der Mittagspause bei der Polizei an und meldete sich als Augenzeuge. Das Auto wäre vermutlich ein Mazda oder Toyota gewesen, Farbe grau oder silbermetallic, der Fahrer war männlich und etwa 40 Jahre alt. Tom hatte sich aber das Nummernschild gemerkt und gab die Daten durch. Der Polizist bedankte sich bei ihm und bat ihn, sich zur Verfügung zu halten, um später eventuell eine Aussage vor Gericht zu machen. Jemand hatte dieses Gespräch mitbekommen und ging zu Tom. Der zögerte erst ein wenig, erzählte dann aber doch von diesem haarsträubenden Erlebnis. Besonders hob er die Fahrkünste seiner Frau hervor und riet jedem Kollegen zu einem Fahrsicherheitstraining.
Nach einigen Jahren wurde Tom zum Leiter der Forschungsabteilung. Er bekam zusätzlich zu einer schönen Gehaltserhöhung einen Firmenwagen, einen BMW 330 d und konnte daher auf ein zweites Auto verzichten. Außerdem stand Linda kurz vor dem Abitur, Jörg war im neunten Schuljahr und Heidi war wieder ganztags in ihrem Beruf als technische Zeichnerin in einem Architektenbüro tätig. Linda sollte als Belohnung für ihre guten schulischen Leistungen nach bestandenem Abitur den Führerschein, den sie gerade machte, geschenkt bekommen und dazu einen gebrauchten Kleinwagen aber nur in Verbindung mit einem Verkehrssicherheitstraining.
Eines Tages hatte Tom einen fürchterlichen Autounfall. Es passierte auf einer Geschäftsreise zum Zweigwerk gegen 11.00 Uhr. Tom fuhr etwas schneller als erlaubt an einer Autobahnbaustelle, so etwa 95 km/h. Plötzlich schoss von der Gegenfahrbahn ein Fahrzeug mit völlig überhöhter Geschwindigkeit über die Mittellinie und bohrte sich schräg in Toms BMW. Trotzdem sich die Airbags öffneten, wurde Tom so schwer verletzt, dass er klinisch tot war. Der schnell an der Unfallstelle erscheinende Notarzt machte sofort Wiederbelebungsversuche und rettete Toms Leben. Danach erst wurde er aus dem Auto befreit und schnellstens ins nächste Krankenhaus gebracht. Dort musste er mehrere Wochen verbringen, um die schweren Verletzungen so gut es ging auszukurieren. Der Unfallverursacher war noch am Unfallort gestorben. Es stellte sich heraus, dass er versehentlich zwei Mal am Morgen seine Blutdruck senkenden Tabletten eingenommen und daher einen Kollaps erlitten hatte.
Tom genas völlig und konnte nach 10 Wochen schon wieder zur Arbeit. Zuerst ließ er sich von Heidi oder Linda zur Firma bringen aber nach 3 Wochen fuhr er wieder selber mit dem nagelneuen Dienstwagen, dem gleichen wie vorher. Es hatte ihn einige Überwindung gekostet, selbst hinterm Lenkrad zu sitzen und am Anfang fuhr er beinahe übervorsichtig. Auf jeden Fall hatte er seine gute Laune wiedergefunden und gab sich fast so wie vor dem Unglück aber eben nur fast. Nachdenklicher war er geworden und viel nachsichtiger im Umgang mit seinen Mitarbeitern, egal ob Chef oder Lehrling. Er hatte zwar manchmal über seinen klinischen Tod gesprochen oder sprechen wollen aber kaum ein Mensch interessierte sich dafür, denn der Tod war ein Tabuthema. Sogar seine Familie bat ihn über diese Sache nicht mehr als nötig zu reden. Mit wem konnte er nur über dieses Thema, welches ihn nun einmal brennend interessierte, sprechen?
Anlässlich des Geburtstages von Lydia Schäfer fuhr Tom mit seiner Familie dort hin. Sogar Linda und Jörg kamen zusammen mit ihren Partnern zu den Schäfers. Es gab wieder Unmengen von Kuchen, Gebäck, Kaffee und so weiter. Am Abend wurde beim Griechen gegessen und dabei bat Tom den Heinz, ob er mit ihm ein Gespräch über den Tod und alles, was damit zusammenhing führen dürfte. Natürlich sagte Heinz spontan zu und nannte Tom einige Termine, an denen er sehr viel Zeit hatte. Tom überlegte kurz und fragte, wie es mit Donnerstag in vier Wochen wäre, denn er hätte dann 10 Tage Urlaub. Heinz meinte, es käme ihm gut aus und er würde sich auf dieses Gespräch freuen.
Nach der Arbeit schwang sich Tom wie so oft noch auf sein Fahrrad und machte eine Runde, manchmal nur für 30 Minuten, meistens aber eine Stunde oder etwas mehr. An dem besagten Donnerstag fuhr er gemütlich mit dem Rad nach Heinz. Für die Strecke brauchte er etwa 45 Minuten. Heinz stand schon am Gartentor und empfing Tom auf seine sehr freundliche Art. Der stellte sein Rad beim Hintereingang des Hauses ab und gemeinsam gingen sie hinein. Lydia begrüßte Tom sehr herzlich und bat ihn ins Wohnzimmer. Sie hätte schon Tee gemacht und würde ihn gleich bringen. Tom bedankte sich und ließ sich im Wohnzimmer auf einem Stuhl am Tisch nieder. Heinz schaute fragend und meinte, die Sessel wären doch viel bequemer. Dieses Gespräch wollte Tom aber viel lieber auf einem Stuhl führen, denn dort saß er aufrecht und schließlich wäre das viel angemessener für das Thema. Da kam auch schon Lydia herein und setzte das Teegeschirr mitsamt einem kleinen Imbiss auf den Tisch. Sie entschuldigte sich für ihre Eile, denn sie müsste noch zu einer wichtigen Podiumsdiskussion und dort ein Referat halten. Schon war sie verschwunden und Heinz setzte vor Tom und sich eine gefüllte Teetasse hin. Er bat ihn tüchtig zuzulangen und trank einen großen Schluck Tee. Tom begann mit dem Gespräch: „Sag‘ mal Heinz, war es eigentlich schwer für euch so zu sein wie ihr jetzt seid?“ „Natürlich war es am Anfang sehr schwierig so zu werden wie jetzt im Moment.“ „Weshalb sagst du Moment und nicht jetzt?“ „Weil wir uns jeden Moment ändern und nicht allmählich, wie wir im Westen meinen.“ „Vielleicht hätte ich auch diese Bücher lesen sollen, die ihr gelesen habt, dann wüsste ich auch so viel über diese Sachen.“ „Wenn du meinst, dass das nur vom Lesen kommt, dann muss ich dich enttäuschen. Dahinter steckt etwas ganz Anderes. Das Lesen ist nur für unser niemals zufrieden seiendes Ego da beziehungsweise für unseren analytischen Verstand, der sich in der linken Gehirnhälfte befindet. Wenn du wirklich tief einsteigen willst, musst dich auf den beschwerlichen Weg der Kontemplation machen.“ „Was ist denn Kontemplation?“ „Eigentlich etwas ganz Einfaches und doch ungeheuer Schweres. Du setzt dich hin und schaust nach innen, in dich hinein. Da wird dich Manches erschrecken und du wirst dich fragen, warum du dich überhaupt mit so etwas quälst. Gedanken werden aufsteigen und dich von der endgültigen Wirklichkeit wegführen. Sie werden dir das Paradies vorgaukeln oder die Hölle. Schuldgefühle können dich befallen und wirst dir wie der schlechteste Mensch der Welt vorkommen.“ „Weshalb ist es denn so schwer?“ „Versuche doch mal für fünf Sekunden nicht zu denken.“ „Das geht doch gar nicht, ich denke doch immer.“ „Und was ist, wenn du schläfst?“ „Na gut, überzeugt. Dann muss ich also nur die Gedanken unterdrücken und es klappt mit der Kontemplation.“ „Das ist auch eine Falle, denn alles was du unterdrückst, kommt um so stärker hoch. Du darfst dich nur nicht an die Gedanken klammern, musst sie kommen und gehen lassen.“ „Heute wollte ich mit dir doch über meine Erlebnisse während des Unfalls sprechen und jetzt sind wir so abgewichen.“ „Nein, sind wir nicht.“ „Was sagst du denn da? Was hat denn Kontemplation mit klinischem Tod zu tun?“ „Alles und nichts gleichzeitig. Ja, ja, schau nicht so erstaunt ungläubig und berichte mir bitte davon. Lasse nichts aus und erzähle so genau wie möglich. Ich werde dir aktiv zuhören und dich möglichst nicht unterbrechen. Fragen stelle ich erst am Ende deines Vortrags.“
Tom begann zuerst etwas zögerlich, wurde am immer sicherer und berichtete haarklein: „Ich sah diesen Wagen auf mich zu rasen und dachte, jetzt ist es aus. Innerhalb von Sekundenbruchteilen erlebte ich mein Leben wie einen Film, nur viel schneller und intensiver. Dann kam der Aufprall, es krachte und danach war völlige Ruhe. Ich fühlte mich auf einmal unbeschreiblich geborgen und unsagbar leicht, so als würde ich schweben. Aus etwa drei Metern Höhe sah ich auf die Unfallstelle hinab, auf zwei zertrümmerte Fahrzeuge, aufgerissene Scheiben, zerplatzte Reifen und zwei leblose Körper in den Autos. Ich sah den Notarztwagen angesaust kommen und zwei Ärzte sprangen heraus auf die Autos zu. Sie untersuchten die Körper und begannen mit der Reanimation. Da verspürte ich einen Sog und wurde in meinen Leib zurück gezogen. Das wollte ich nicht und wehrte mich dagegen. Plötzlich nahm ich eine Stimme wahr, die mir sagte, das meine Zeit noch nicht gekommen wäre. Ich müsste zurück und noch viele Sachen erledigen. Meine Familie würde mich noch sehr brauchen und auch die Firma. Zuerst widerstrebend ließ ich mich in meinen Körper zurück fallen und erwachte danach im Krankenhaus. Mehr kann ich dazu nicht sagen.“
„Da hast du ja einen Hauch Ewigkeit verspürt. Ich bin sehr froh, dass du mir davon berichtet hast. Antworte mir bitte jetzt auf jede meiner Fragen spontan. Rede so, wie dir der Schnabel gewachsen ist. Offenheit und gegenseitiges Vertrauen ist für mich selbstverständlich. Darf ich auch Lydia davon erzählen?“ „Wir sind befreundet und sie darf auch das über mich wissen, was du alles weißt.“ „Gut. In anderen Berichten über Nahtoderlebnisse ist von einem strahlend weißen Licht am Ende eines Tunnels die Rede. Hast du auch so etwas gesehen?“ „Ja, jetzt da du es sagst. Außerdem sah ich noch ein Licht in Form einer Gestalt, die sich langsam von mir entfernte und eine unendliche Freude und Erleichterung ausstrahlte. Ich wollte auch in dieses strahlende Licht aber davon hatte mich ja die Stimme abgehalten. Seit diesem einschneidenden Erlebnis hat der Tod keinen Schrecken mehr für mich.“ „Wundere dich bitte nicht über das, was ich dir jetzt sage. Du hast mir genau das erzählt, wonach wir in der Kontemplation streben, anders gesagt, du hattest eine Erleuchtung, nur der Weg dahin war etwas krass. Ich übe schon weit über zehn Jahre und dir fällt es sozusagen in den Schoß. Das ist trotz allem kein Grund für mich, irgendwie neidisch auf dich zu sein, im Gegenteil, ich freue mich sogar für dich.“ „Du bist wirklich der erste Mensch, der mich verstanden hat. Warum nur ist es für die anderen Menschen in meinem Umfeld so schwer, über das Thema Tod zu sprechen?“ „Ganz einfach deshalb, weil die Menschen im Westen schon seit Jahrhunderten irregeführt werden. Wenn du die Bibel, insbesondere das Neue Testament aufmerksam liest, stellst du fest, dass hier auch noch Fragmente von der Wiedergeburt zu finden sind. Im Buddhismus und Hinduismus wird immer wieder auf die Seelenwanderung von einem zum anderen Körper hingewiesen, also auf die Reinkarnation. Der Körper ist wie ein Kleid, wenn er abgetragen und alt ist, wird er abgelegt, mit anderen Worten, er stirbt. Die Seele bleibt erhalten und verlässt ihn. Sie geht ins Jenseits ein und verarbeitet dort alle Erfahrungen, die sie im vergangenen körperlichen Leben gemacht hat.“ „Warum wird uns denn im Religionsunterricht so etwas verschwiegen?“ „Weil sich mit der Angst vor dem Tod viel Geld verdienen ließ und immer noch lässt.“
Die ganzen Dinge, die ihm Heinz mitgeteilt hatte, waren völliges Neuland für Tom. Er fragte sich immer wieder, was denn das sollte. Warum war gerade ihm so etwas widerfahren? Heinz bemerkte Toms Unruhe: „Kann es sein, dass du dir viel zu viele Gedanken über Gründe und Ursachen deines Erlebnisses machst?“ „Woher weißt du das denn schon wieder?“ „Das hat nichts mit Wissen sondern mit Erfahrung zu tun. Was meinst du wohl, wie es mir am Anfang erging? Ich habe mir oft gewaltig den Kopf zerbrochen über die Erinnerungen, die während des Sitzens auftauchten. Manche hatte ich verdrängt, weil sie mir furchtbar peinlich waren. Ich war anfänglich nicht in der Lage, dieses alles als Teil von mir anzunehmen aber es gehörte nun einmal zu mir wie meine Ohren oder Füße. Mittlerweile nehme ich fast alles ohne Widerstand an, was mir zustößt. Im Laufe der Zeit wurde ich immer nachsichtiger im Umgang mit meiner gesamten Umwelt, also auch mit Tieren und Menschen. Im Moment bin ich so weit, dass ich noch nicht einmal einer Fliege etwas zu Leide tue, geschweige denn anderen Tieren. Ich habe ihnen das Leben nicht gegeben, also darf ich es ihnen auch nicht vorsätzlich nehmen.“ „Du bist doch bestimmt schon erleuchtet.“ „Nein, ich noch nicht, aber irgendwann wird es soweit sein.“
Tom schaute auf die Uhr: „Darf ich bitte Heidi anrufen, damit sie sich nicht um mich zu sorgen braucht?“ „Selbstverständlich. Ich habe eure Nummer sogar eingespeichert. Drücke einfach auf die Taste mit dem Stern und auf die 2. Schon hast du die Heidi.“ „Danke.“ Er teilte ihr mit, dass es später werden würde als erwartet, aber vermutlich wäre er wohl in zwei Stunden daheim. Sie bräuchte nicht auf ihn zu warten. Damit beendete er das Gespräch. Heinz scherzte: „Du willst also noch mindestens 90 Minuten meiner Zeit in Anspruch nehmen. Ist das zu glauben? Jetzt verfüge ich noch nicht einmal mehr über mich und meine Zeit.“ „Das siehst du aber völlig falsch, oh beinahe Erleuchteter. Es muss doch eine Ehre für dich sein, mich bei dir im Haus zu haben.“ Zwischenzeitlich war Lydia zurück gekommen und sozusagen zufällig die letzten Worte der Unterhaltung mitbekommen. Ironisch bemerkte sie: „Ihr Männer seid doch alle ganz große Schwätzer. Wenn es so hell um euch Beide wäre, wie ihr mit der Erleuchtung vorgebt, wozu habt ihr dann das Licht noch an?“ Da schauten sie aber verdutzt drein und wussten keine Antwort. „Männer! Mit ihnen geht ‘s nicht und ohne sie schon gar nicht.“, lästerte Lydia. Tom fragte ganz unschuldig: „Wie war denn dein Referat? Kam es gut an?“ Sie tat enorm überheblich: „Was sollen diese Fragen? Wenn ich etwas mache, dann richtig. Natürlich habe nur ich dieser Diskussion die nötige Richtung vorgegeben und für einen flüssigen Ablauf gesorgt. Was will man schon verlangen, wenn fast nur Männer anwesend sind?“ Heinz tat, als fiel er vom Stuhl: „Das hältst du nicht aus. Ich bin entsetzt. Wie kannst du vor unserem Gast nur so etwas sagen? Was soll der von uns denken?“ Tom schaute belustigt auf Heinz und Lydia. So hatte er sie selten erlebt, denn sie machten meistens einen etwas weltentrückten Eindruck auf ihn. Er sah auf Lydia: „So kenne ich dich kaum. Ich wusste nicht, wie humorvoll du sein kannst.“ „Vielen Dank für dein Kompliment. Ich freue mich, dass du noch da bist. Du hast dich also nicht von Heinz‘ Meinung abschrecken lassen, die sehr oft ähnlich wie meine ist. Vermutlich warst du erstaunt, wie die Menschen betrogen wurden und werden. Das Wichtigste ist trotz allem, du kannst nur dich ändern, sonst niemanden.“ „Muss ich mich denn nicht gegen Betrug wehren?“ „Natürlich kannst du das tun, nur darfst du nicht den Menschen als schlecht ansehen, sondern nur die Betrugshandlung. Außerdem kannst du nur dann betrogen werden, wenn du es zulässt.“
Tom wurde immer erstaunter über die Lebenseinstellung der Beiden. Was sie ihm zu sagen hatten, ließ seinen Kopf rauchen. Er verabschiedete sich kurze Zeit später von ihnen und machte sich auf den Heimweg. Heidi hatte doch noch auf ihn gewartet und freute sich, dass er vor Ablauf der zwei Stunden wieder da war. Sie begrüßte ihn: „Was ich besonders an dir mag, ist deine Fürsorge. Es war richtig nett von dir, mich anzurufen. Vielen Dank.“ „Für mich ist es selbstverständlich, andere Menschen nicht im Unklaren zu lassen und ein kurzer Anruf ist immer möglich, besonders bei dir.“ Er fragte Heidi, ob sie noch etwas vom Gespräch wissen wollte. Sie meinte, damit sollte er sich bis Morgen gedulden, denn jetzt stände ihr der Sinn nach etwas ganz anderem. Damit schob sie ihn ins Schlafzimmer.
Am nächsten Morgen, so gegen 11.00 Uhr begann er, Heidi vom gestrigen Gespräch bei Heinz zu berichten. Er bat sie, erst nach seiner Rede Fragen zu stellen. Erstaunt hörte sie sich seinen Vortrag an, blickte ihn manchmal verstört oder missbilligend an aber wartete mit ihren Fragen bis nachher. Die Kernfrage war, woher Heinz und Lydia alle diese Dinge wussten. Außerdem wäre es dann ja für Tom notwendig gewesen, diesen Unfall erleiden zu müssen. Er meinte, es wäre sein zweiter Geburtstag gewesen und die Feier hätte bei den Schäfers stattgefunden. Vor allem sei der Tod jetzt für ihn kein Tabuthema mehr, denn er wusste ja, wie befreiend er war. Heinz hatte ihm erklärt, die Angst vor dem Tod wäre hauptsächlich körperlicher Natur und fast ebenso große Angst hätte das Ego davor. Daher müsste das Ego vor dem körperlichen Tod schon auf das Ende vorbereitet werden. Indem die Gedankentätigkeit auf ein normales Maß gesenkt würde und es nicht die erste Geige spielen dürfte, wäre die Vorbereitung schon fast perfekt.
Tom traf sich noch oft mit den Schäfers und begann sogar nach kurzer Zeit mit der Kontemplation. Jedes Mal kam er zufrieden heim und Heidi beschloss auch eines Tages, ihn zu begleiten und mitzumachen. So gewannen sie eine andere Sicht der Dinge und Geschehnisse um sie herum und lebten viel zufriedener. Sie hatten nämlich den Sinn des Lebens erkannt. Es war doch so einfach, das Leben ist und zwar in jedem Moment.
-------------------------------------------------- Ich wünsche allen Wesen Wohlgefühl. Wer kuschelt, kann nicht streiten.
Dunkles Schweigen. Lautlose Rufe. Rascheln und Knistern. Harmonische Schwärze.
Der volle Mond schaut auf mich. Er beleuchtet kühl meinen Weg. Der leichte Wind ist mein Begleiter. Ich laufe mich warm.
Die Lichter der Stadt. So nah und unerreichbar. Bald endet die Nachtschicht. Unnatürlichkeit der Bewegungen.
Endlich stehe ich auf der Brücke. Kaum wahrnehmbar fließt es. Ich schau dem Mond ins Gesicht. Er verzieht keine Miene.
Silbern steht er über dem Fluss. Schiffe gleiten durch sein Licht. Hinter mir rauscht der Verkehr. Wohin hasten die Menschen?
Ich ertrage das Rauschen kaum. Schnell weg hier. Bald hat mich die Ruhe zurück. Ertrage ich die Ruhe?
Wo ist mein Zuhause? Meine vier Wände? Brauche ich die? Ich brauche nur mich. -------------------------------------------------- Ich wünsche allen Wesen Wohlgefühl, 's ist kostenlos und bringt so viel.
Gibt es sie denn wirklich noch? Sah sie schon jemand fliegen? Oder sind sie schon so hoch, nicht mehr zu sehen sie kriegen?
Du kannst sie weder seh'n noch hör'n, bemerkst denn du ihr Wirken? Nur Kinder können sie noch spür'n, wenn Wind rauscht in den Birken.
Früher war'n Glücksbringer sie, bis Mönche sie verfluchten, es wären wahre Teufel die, die Drachen, die verruchten.
Heute sind sie unsichtbar, sie dennoch uns begleiten, sei wie ein Kind, dann nimmst sie wahr, wie durch die Luft sie gleiten.
Sie sind die Güte in Person, sie werden dir nie schaden, ihre Macht bemerkst du schon, zum Fliegen dich einladen.
Ein Herrscher sein, das ist famos, doch nicht, willst dadurch glänzen, die Bürde ist doch oft sehr groß, trägst auch die Konsequenzen.
Ich breite meine Flügel aus und fliege mit den Winden, ich schwebe über manches Haus, brauch' Drachen nicht mehr finden.
Sie sind doch immer in der Näh', wie Freunde, die wir hatten. War es doch nur eine Kräh'? Ich sah da einen Schatten. -------------------------------------------------- Ich wünsche allen Wesen Wohlgefühl, 's ist kostenlos und bringt so viel.
Vor kurzem hatten Heinz und Erika Müller geheiratet. Sie wohnten in einem Haus in der Nähe von Kassel zur Miete. Erika war Verkäuferin in einem aufstrebenden Kaufhaus und Heinz hatte vor einigen Monaten die Meisterprüfung im Elektrohandwerk bestanden. Er arbeitete in einem großen Automobilwerk als stellvertretender Elektromeister, denn er war schon in jungen Jahren durch seine guten Leistungen aufgefallen und entsprechend gefördert worden. Die Müllers sparten jeden Pfennig, denn sie wollten eines Tages ein eigenes Haus haben.
Nach einiger Zeit bemerkte Erika, dass sie schwanger war. Zuerst dachte sie daran, ob sie sich ein Kind überhaupt leisten konnten, denn sie meinte, durch ein Kind wäre der Traum vom Eigenheim ausgeträumt. Sie traute sich kaum, es Heinz zu berichten. Einige Tage danach fasste sie sich ein Herz und teilte ihm die Neuigkeit mit. Er musste sich erst setzen, um die Nachricht zu verarbeiten. Mit einem Satz sprang er auf, hüpfte von einem Bein auf das andere und freute sich wie ein kleines Kind, dem man einen Luftballon schenkt. Verwundert sagte sie: „Ich dachte nicht, dass du dich so freuen würdest. Denkst du nicht mehr daran, dass wir unser eigenes Haus haben wollten? Wie sollen wir es denn bezahlen können, wenn ich nicht mehr arbeiten kann?“ Doch Heinz entgegnete ihr unbekümmert: „Was ist schon ein eigenes Haus gegenüber einem Kind? Ich werde einfach Überstunden machen und dann reicht unser Geld aus. Wer sagt denn, dass du nie wieder arbeiten kannst? Nach einiger Zeit besteht bestimmt die Möglichkeit, eine Halbtagsstelle anzutreten und bis dahin habe ich genug verdient.“ „Du hast eigentlich Recht. Wie konnte ich nur so schwarz sehen? Es liegt vielleicht an der Schwangerschaft.“ „Ich bin dir deshalb kein bisschen böse, denn du regst zum Nachdenken an und das mag ich so an dir.“
Heinz begann sofort damit, Überstunden zu machen und brachte noch mehr Geld heim. Kurz darauf erhielten sie von einem Makler ein schönes Haus angeboten. Sie hatten sich beim ersten Blick in das Haus verliebt und alle Mühe, es dem Makler nicht zu zeigen. So gut es irgendwie ging, handelten sie den Kaufpreis herunter und kauften das Haus. Einiges Geld behielten sie sogar noch übrig und wollten es bei ihrer Bank zu guten Zinsen anlegen. Ein Bankangestellter überredete sie hinter vorgehaltener Hand zu einem Warentermingeschäft, denn er selbst würde sein ganzes Geld darin investieren. Zuerst waren sie sehr skeptisch aber wenn selbst dieser Bankangestellte sein ganzes Geld riskierte, konnte eigentlich nichts schief gehen. Gesagt, getan! Nach drei Wochen war aus ihren Ersparnissen fast das Doppelte geworden. Sofort legten sie dieses Geld bei der Bank an und hielten sich von solchen, ihrer Meinung nach riskanten, Geschäften fern. Wie Recht sie damit hatten zeigte sich bald, denn das nächste Warentermingeschäft platzte und der Bankangestellte verlor fast sein ganzes Geld.
Mit Riesenschritten rückte der Geburtstermin immer näher und die Vorfreude wurde immer größer. Wenige Tage vor dem berechneten Termin passierte ein Unglück. Erika wollte die Post aus dem Briefkasten holen und stürzte die letzten drei Treppenstufen hinunter. Eine Nachbarin hatte den Aufprall gehört und lief schnell zu Erika, die laut stöhnte. Sofort rief die Nachbarin den Notarzt an, der schon nach wenigen Minuten eintraf. Schnellstens lieferte man Erika in die Geburtsabteilung ein. Der dortige Doktor rief sofort seine Mitarbeiter zusammen und sie bereiteten Erika im Operationssaal auf einen Kaiserschnitt vor. Das war auch dringend geboten, denn sonst wäre das Kind im Mutterleib gestorben. Nach erfolgreicher Operation, die Mutter und Kind gut überstanden, stellte der Gynäkologe eine Schädeldeformation beim Kind fest, die wohl durch den Sturz verursacht worden war. Er wollte Erika einen Schock ersparen und ließ das Kind, ein Mädchen, in die Säuglingsstation bringen.
Als Heinz im Krankenhaus eintraf, befand sich seine Frau gerade im Operationssaal. Er wollte zu ihr, aber der Portier hielt ihn zurück und beruhigte ihn. Danach rief er für Heinz in der gynäkologischen Abteilung an und erkundigte sich nach Erikas Zustand. Die Stationsschwester wusste nur, dass die Operation ohne Probleme verlief und bat Heinz zu warten. Der bedankte sich und lief vor Nervosität wie ein im Käfig gefangener Tiger hin und her. Nach fast zwei Stunden kam der Portier zu ihm und schickte ihn hinauf in die Geburtsabteilung. Schnell lief Heinz die Treppe hinauf und meldete sich bei der Stationsschwester, die ihm mitteilte, dass Mutter und Kind, ein Mädchen, wohlauf wären. Seine Frau befände sich noch im Aufwachzimmer und das Kind auf der Säuglingsstation. Währenddessen kam eine andere Schwester auf Heinz zu und fragte ihn, ob er Herr Müller wäre. Er bejahte und die Schwester sagte ihm, seine Frau wäre jetzt erwacht und er könnte zu ihr. Dankesworte murmelnd ging er zu Erikas Zimmer, öffnete vorsichtig die Tür und sah Erika. Sie hatte ein großes Pflaster an der linken Stirnseite. Leise trat er auf ihr Bett zu und hauchte ihr einen Kuss auf die Wange. Er nahm ihre rechte Hand und fragte sie, wie sie sich fühle. Mit schwacher Stimme schilderte sie ihm den Sturz und beruhigte ihn, denn bis auf die Platzwunde an der Stirn und einen leichten Brummschädel hätte sie nichts abbekommen. Ihr Kind wäre zur Beobachtung auf der Säuglingsstation. Einigermaßen zufrieden mit diesen Auskünften, fragte sich Heinz, ob dem Kind bei dem Sturz nichts passiert wäre. Da klopfte es an der Tür und der behandelnde Arzt trat ins Krankenzimmer. Mit bedenklicher Miene eröffnete er den Müllers: „Ich habe mich mit dem Kinderarzt unterhalten, denn ich stellte nach der Geburt bei ihrem Kind eine Schädeldeformation fest. Es kann sein, dass ihr Kind eine Behinderung hat. Genaueres können wir ihnen jetzt noch nicht mitteilen. Warten sie bitte die nächsten Monate ab, dann ist eine ganz genaue Diagnose möglich. Ansonsten haben sie eine kerngesunde Tochter.“ Danach verließ der Doktor das Zimmer. Vollkommen außer Fassung sahen sich Erika und Heinz an. Das konnte doch nicht wahr sein. Ihr ganzes Leben schien zerstört. Wie würde ihre Zukunft aussehen? Würden sie vierundzwanzig Stunden am Tag auf das Kind aufpassen müssen? Wäre es ein Pflegefall? Erika machte sich die schlimmsten Vorwürfe. Hätte sie doch nur die Post Post sein lassen. Wäre sie doch nur vorsichtiger gewesen. Hätte sie sich doch nur besser fest gehalten. Doch diese Vorwürfe führten zu nichts und Heinz versuchte, Erika zu trösten. Er wollte ihr Kraft geben und seine Gefühle nicht zeigen, doch als er Erika in den Arm nahm, begann er, hemmungslos zu weinen. Wozu hatten sie sich so abgemüht und so viel gespart? Wofür das alles? Ihre Kinder sollten es eines Tages besser haben und dann so etwas. Andere Ehepaare kümmerten sich einen Dreck um ihren Nachwuchs und trotzdem wuchsen diese Kinder fröhlich und zufrieden auf. Es war alles so ungerecht. Warum hatte Gott ihnen so etwas angetan? Warum nur, warum? Sie hatten doch niemandem etwas angetan. Es war zum Verzweifeln. Erika sagte mit tränenerstickter Stimme: „Wir müssen noch einen Namen für unser Kind finden. Spontan fällt mir da Elisabeth ein.“ Heinz entgegnete: „Ein Name ist so gut wie der andere. Mir ist es egal.“ Er verabschiedete sich mit gebrochener Stimme von Erika und begab sich zum Standesamt. Dort meldete er seine Tochter an und ging anschließend heim. Als er daheim war, nahm er sich eine Flasche Whisky und leerte sie fast. Zwischendurch meinte er, dass das Trinken die einzige Möglichkeit wäre, mit diesem sinnlosen Leben fertig zu werden. Warum sollte er überhaupt noch arbeiten gehen? Völlig betrunken blieb er auf dem Sofa liegen.
Am nächsten Morgen hatte er einen fürchterlichen Kater und meldete sich krank. Er musste erst wieder zu sich selbst finden und alle Ereignisse in der richtigen Reihenfolge zusammenbringen. Der Umzugstermin stand auch kurz bevor und er musste jetzt alles alleine zusammenpacken. Warum hatten sie sich nur auf diesen Hauskauf eingelassen? Da klingelte es an der Wohnungstür. Heinz schleppte sich zur Tür und öffnete sie. Draußen stand sein bester Freund, Theo Meier, der im Nebenhaus wohnte und schon Frührentner war. Als Theo Heinz sah, erschrak er zuerst, ließ es sich aber nicht anmerken und begrüßte ihn: „ Guten Morgen Heinz. Ich wollte nur fragen, wie es Mutter und Kind geht. Wie heißt euer Kind überhaupt?“ Heinz bat ihn in die Wohnung, schloss die Tür und antwortete traurig: „Erika geht es den Umständen entsprechend gut und unser Kind heißt Elisabeth.“ „Heinz, du verschweigst mir doch etwas.“ „Was sollte ich dir denn verschweigen?“ „Rück‘ schon raus mit der Sprache. Da ist doch was im Busch. Ich kenn‘ dich doch.“ Sie setzten sich ins Wohnzimmer und schweren Herzens erzählte Heinz dem Theo alles, was ihm der Arzt gesagt hatte. Ungläubig sah ihn Theo an: „Was ist mit eurer Tochter? Sie soll behindert sein? Das tut mir sehr leid für euch. Das habt ihr ganz bestimmt nicht verdient.“ Heinz dankte ihm mit müder Stimme für sein Mitgefühl und bot ihm einen Cognac an. Sie stießen auf Elisabeth an und Theo gratulierte ihm trotzdem herzlich zum Nachwuchs. Fast böse sagte Heinz: „Was gibt es da schon zu gratulieren? Demnächst haben wir einen Krüppel Zuhause und dann müssen wir uns schämen, dass wir so ein Kind haben. Was sollen nur die Nachbarn denken? Hätten wir uns doch nur weit entfernt ein Haus gekauft, da, wo uns keiner kennt.“ Theo war erschüttert über diese Worte: „Wir sind doch Freunde und darum sage ich dir jetzt die Wahrheit. Wenn du mir deshalb böse bist, verstehe ich das sehr gut. Hör‘ mir bitte genau zu. Du bist von Selbstmitleid zerfressen, willst den Kopf in den Sand stecken, dich vor der Welt verstecken und keinen Menschen mehr sehen. Falscher könntest du dich nicht verhalten. Hat denn ein Behinderter kein Recht auf Leben? Meinst du vielleicht, mir macht es Spaß, Frührentner zu sein und als Simulant bezeichnet zu werden, nur weil ich kaum Luft bekomme? Stelle dich dem Leben. Sag‘ ja zu allem, was auf dich zukommt. Du warst doch früher nie ein Pessimist. Denk‘ doch mal nach!“ „Ich glaube, es ist besser, du gehst jetzt! Ich brauche keinen klugen Ratschläge von dir! Danke für deinen Besuch.“, hielt sich Heinz mühsam zurück. Theo verabschiedete sich: „Ich bin weiterhin dein Freund und halte zu dir, egal was dir zustößt. Bis dann.“
Einige Tage darauf kam Erika heim. Sie litt sehr darunter, dass sie ein behindertes Kind zur Welt gebracht hatte. Was würde nur die Zukunft bringen? Wie würde sich ihr aller Leben verändern? Sie wollte sich ablenken und stürzte sich in ihre Hausarbeit. Am nächsten Morgen kam schon um sieben der Lkw und schnell waren die ersten Sachen verladen. Der Fahrer meinte, dass er kaum jemals so zügig einen Umzug hatte vonstatten gehen sehen.
Kurz darauf wurden Heinz und Erika zum Krankenhaus bestellt. Der Kinderarzt bat sie in seinen Behandlungsraum und eröffnete ihnen: „Nach eingehenden Untersuchungen wurden folgende Behinderungen bei Elisabeth festgestellt: Sie wird kaum sprechen und nur sehr wenige Bewegungen ohne Hilfe vollbringen können. Beim Sturz der Mutter war die Schädeldecke eingedrückt und dadurch das Sprachzentrum sowie die Bewegungskoordination geschädigt worden. Regelmäßige Krankengymnastik und der Besuch einer Sprachschule könnte die Behinderungen etwas mildern. Es tut mir leid, dass ich ihnen keine positivere Nachricht geben kann.“ Obwohl der Doktor so schonend wie möglich gesprochen hatte, trafen seine Worte die Müllers wie Hammerschläge. Völlig verzweifelt verließen sie das Krankenhaus. Ihre Tochter Elisabeth musste dort noch etwa einen Monat zur Beobachtung verbleiben.
Nach diesem Monat, der Erika endlos lang vorkam, ging sie mit Heinz zum Krankenhaus, um die Elisabeth abzuholen. In der Kinderstation übergab ihnen die Stationsschwester ihre Tochter und richtete ihnen aus, dass ihnen der Stationsarzt noch einige Ratschläge und Anregungen für die ersten Monate geben wollte. Sie bedankten sich herzlich und begaben sich ins Arztzimmer. Der Arzt begrüßte sie: „Guten Tag liebe Familie Müller. Ich habe mir etwas Zeit für sie genommen, um ihnen meiner Meinung nach einige wertvolle Tipps bezüglich der Pflege ihrer Elisabeth zu geben. Zuerst einmal sage ich ihnen, dass die Elisabeth ein besonderes Kind ist. Nicht weil sie behindert ist, sondern dass sie solche Eltern hat wie sie. Sie werden sich ganz sicher sehr gut um sie kümmern und, davon bin ich felsenfest überzeugt, ehrlich lieb haben. Herr Müller, schauen sie doch nicht so zweifelnd. Sie sind nicht der erste Vater, der hier sitzt und ein behindertes Kind hat. Ihre Verzweiflung ist zwar verständlich und ich kann mir denken, dass sie sich gesagt haben, warum ausgerechnet wir. Diese Einstellung wird ihnen wenig hilfreich sein. Sehen sie sich doch das Leben der Amerikanerin Helen Keller an. Hat diese Frau keine Chancen gehabt? Bevor ich ihre Zeit noch länger in Anspruch nehme, verabschiede ich mich jetzt besser von ihnen und wünsche ihnen alles nur erdenklich Gute für sie und ihr Kind.“ Heinz erhob sich mit den Worten: „Sie haben Recht. Auf Wiedersehen Herr Doktor.“
Mit ihrer Tochter auf dem Arm kamen sie heim. Die Nachbarn hatten sie schon von weitem kommen sehen und wollten sich nach dem Befinden des Kindes erkundigen, denn sie wussten ja, dass Elisabeth lange im Krankenhaus gewesen war. Heinz öffnete die Fahrertür, stieg aus, ging ums Auto zur rechten Seite und war Erika beim Aussteigen behilflich. Währenddessen kam der rechte Hausnachbar zu ihnen und fragte nach Elisabeth. Etwas barsch antwortete Heinz: „Es geht ihr einigermaßen, aber das gibt sich wieder!“ Erika schaute Heinz an, schüttelte den Kopf und sagte: „Vielen Dank für ihre Nachfrage. Wir werden unserem Kind viel Liebe geben. Das ist für sie die beste Medizin.“ „Ich wünsche ihnen für Elisabeth alles Gute und ihnen Beiden, dass sie immer die Kraft haben werden, ihr die nötige Liebe und Anerkennung zu geben.“ Heinz gab dem Nachbarn die Hand: „Entschuldigen sie bitte meinen Ton aber Alles kam für uns sehr überraschend. Dafür können sie ja nichts. Auch von mir vielen Dank für ihre Anteilnahme.“
Die ersten Wochen waren sehr schwer für Erika und Heinz, denn Elisabeth schrie nicht, bewegte sich kaum und sie mussten ihre Bedürfnisse fast erraten. Für Erika war es leichter als für Heinz, denn sie hatte allein schon durch das Stillen viel engeren Kontakt. Besonders Heinz litt sehr darunter, dass er ein behindertes Kind hatte. Im Betrieb ließ er sich nichts anmerken aber nach einiger Zeit wurde auch dort bekannt, dass Elisabeth behindert war. Einige furchtbar neidische Kollegen tuschelten hinter seinem Rücken: „Das hat er verdient. Hier den großen Macker spielen und noch nicht mal ein gesundes Kind zu Stande bringen. Ja, ja, Hochmut kommt vor dem Fall. Es gibt also doch noch Gerechtigkeit.“ Ein anderer Kollege, eine Seele von Mensch, sprach mit Heinz: „Egal, wie es dir oder deinem Kind geht, auf mich kannst du dich immer verlassen. Ich werde dir helfen, wo immer ich kann. Scheu‘ dich nicht, mich um Hilfe zu fragen.“ „Von dir hätte ich auch nicht anders gedacht als dass du helfen willst, Hugo. Vielen Dank. Ich werde auf dein Angebot im Bedarfsfalle zurückgreifen. Gäbe es doch nur mehr von diesen prachtvollen Menschen wie dich.“
Im Laufe der Jahre lernte Elisabeth mit großer Mühe sprechen und ihre Hände zu gebrauchen. Als sie in der Schule mit dem Schreiben und Lesen begonnen hatte, fing sie an, ihren ersten kurzen Gedichte zu verfassen. Ihre Eltern hielten anfänglich diese Schreiberei für dummes Zeug, doch die Lehrer waren alle begeistert von den einfachen aber wirkungsvollen Worten und dem Tiefgang in Elisabeths Werken.
Im Alter von zwölf Jahren schickte sie ihre Kurzgeschichten nacheinander an verschiedene Verlage und einige dieser Geschichten wurden zuerst in kleinen Auflagen herausgegeben. Diese Auflagen waren außerordentlich schnell vergriffen und die Verlage konnten kaum nachkommen, Neuauflagen heraus zu bringen.
Nach einiger Zeit wurde Elisabeth gebeten, an einer Dichterlesung teilzunehmen und aus einem ihrer Werke vorzulesen. Dieser Bitte kam sie gerne nach und ließ sich von ihrem Vater zu dieser Veranstaltung bringen. Dort stand sie nun im Rampenlicht. Etliche Menschen im Publikum waren darüber erschüttert, dass Elisabeth so schwer behindert war und sich mehr schlecht als recht im Rollstuhl hielt. Doch kaum hatte sie ihren ersten Worte vorgetragen, lauschten alle Anwesenden gebannt dem Klang ihrer Stimme. Keiner sah mehr ihre Behinderung. Als sie geendet hatte, war das ganze Publikum völlig sprachlos. Erst nach einer längeren Pause brandete tosender Applaus auf. Die anderen geladenen Dichter wurden versehentlich zu Statisten degradiert und als der Applaus abgeebbt war, stand ein Schriftsteller auf und gratulierte Elisabeth: „Ich danke dir für deine unnachahmlich schönen und bewegenden Worte. Wie sagte doch so treffend ein asiatischer Weiser: Die Lotosblüte wächst aus dem übel riechenden Schlamm zu unglaublicher Schönheit. Diesen Worten kann ich mich vorbehaltlos anschließen.“
Die damaligen zerstörerischen Fragen der Müllers zur Behinderung Elisabeths tauchten nicht mehr auf. Kein Mensch wird sich jemals damit abfinden, wenn er eine Behinderung hat. Er wird in den meisten Fällen versuchen, das Beste daraus zu machen. Für Elisabeth war es eben die Gabe der Schriftstellerei, die sie als Mensch so einzigartig machte. Ist nicht jeder Mensch einzigartig? Jedes Wesen auf der Erde bekommt genau das zum Leben, was es braucht. Nur wir Menschen wollen unsere Geschenke oft nicht haben. -------------------------------------------------- Ich wünsche allen Wesen Wohlgefühl, 's ist kostenlos und bringt so viel.
Wolkenverhangen und grau, neblig und kalt, ich fühle mich verloren, es wirkt alles so verlassen und abweisend.
Schnell die Einkäufe erledigt, ab zum Auto und eingepackt. Leises Weinen im Hintergrund, ein Kind steht allein in der Kälte.
Soll ich erst die Einkäufe verstauen? Das Kind geht vor! Ich schiebe meinen scheppernden Einkaufswagen und gelange schnell zum weinenden Kind.
Es ist schon fast durchgefroren und zittert erbärmlich. Gemeinsam gehen wir wieder in den Supermarkt. Ich frage es, was mit ihm ist. Meine Mama ist weg. Ich wollte ihr doch Blumen kaufen.
Hat deine Mama dich hier vergessen? Nein, ich bin hierhin gelaufen. Ich habe kein Geld und meine Mama liebt Blumen. Kannst du mir helfen?
Wer kann bei einem Blick in Kinderaugen Nein sagen? Welche Blumen mag deine Mama denn am liebsten? Bunte Blumen. Ich gebe dir Geld und du kaufst ihr welche.
Am Blumenstand bekommen wir einen bunten Strauß, größer als erwartet. Die Verkäuferin hat mitbekommen, was passiert ist. Ganz stolz sagte der Junge: „Die sind für Mama“.
Wir verließen den Laden und gingen zum Auto. Eilig verpackte ich die Waren und brachte den Wagen weg. Wieder im Auto frage ich: Wo wohnst du denn?
Ich wohne bei meinem Papa. Meine Mama wohnt nicht mehr bei uns. Wo wohnt sie denn jetzt? Sie liegt auf dem Friedhof.
Bringst du mich bitte dahin? Sehr traurig komme ich der Bitte nach. Gemeinsam gehen wir zum Grab. Seine Mutter war nur 32 geworden.
Liebe Mama, ich bringe dir was. Behutsam legt er den Strauß auf ihr Grab. Ich breche in Tränen aus. Ein Sonnenstrahl dringt durch die Wolken.
Er beleuchtet den Strauß. Warum weinst du? Mama schläft nur hier. Ich sehe sie im Himmel. Es geht ihr so gut. Bringst du mich jetzt nach Hause?
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Dieses Jahr sollte das Weihnachtsfest zu einem ganz besonderen Ereignis werden. Markus Schmidt und seine Frau Gisela hatten schon Wochen vorher die Geschenke für ihre Kinder, die Zwillinge Manuela und Oliver gekauft und bei Giselas Mutter gelagert. Oliver sollte eine Autorennbahn bekommen und Manuela einen Erweiterungsset für ihre elektrische Eisenbahn. Es war unglaublich welch ein handwerkliches Geschick ihre Tochter an den Tag legte. Sie hatte mit ihren zwölf Jahren die Landschaft für die Eisenbahn fast komplett selber gebaut und zwar mit einer Liebe zum Detail, die einfach unnachahmlich war. Oliver hingegen kam nur mit vorgefertigten Sachen klar, selbst Lego war nichts für ihn. Seine Stärke war seine unheimlich schnelle Reaktionsfähigkeit und beim Autorennen hatte gegen ihn keiner eine Chance.
Am heiligen Abend so gegen fünf Uhr als es schon fast dunkel war, hielten es die Kinder nicht mehr aus. Furchtbar ungeduldig drängten sie die Eltern, doch endlich die Geschenke zu holen. Vater sah Mutter an, Mutter sah Vater an. Sie seufzten und erhoben sich vom Sofa. Quälend langsam gingen sie in den Keller und brachten die Weihnachtsgeschenke mit, die sie unter den festlich geschmückten Tannenbaum neben die Krippe legten. In der Zwischenzeit hatten die Zwillinge die Geschenke für die Eltern, eine Sonnenbrille für Mutter und einen Modell-Lkw für Vater, aus ihrem Zimmer geholt und hinter dem Baum platziert. Die Sache mit der Sonnenbrille war eine Meisterleistung der Verheimlichung gewesen, denn Mütter haben ein unheimliches Gespür in Bezug auf ihre Kinder und deren Taten.
Allen neumodischen Strömungen zum Trotz wurde vor der Bescherung ein wenig gesungen. Die Kinder empfanden das zwar als fürchterlich kitschig und meinten, diese Singerei wäre Gefühlsduselei aber sie konnten sich der Ergriffenheit nicht entziehen. Fast hätten sie sogar geweint vor Rührung aber das verkniffen sie sich. Danach bekam jeder sein Geschenk aber Mutters Überraschung über die Sonnenbrille war nicht zu übertreffen. Alle waren zufrieden und Oliver ging sofort in sein Zimmer, um die Autorennbahn aufzubauen. Kurz darauf folgte ihm sein Vater und half ihm dabei. Anschließend begab der sich zu Manuela und schaute ihr zu, wie sie den neuen Zug sorgfältig auf die Schienen setzte.
Gegen sieben Uhr wurde der Esstisch gedeckt und das Abendessen aufgetragen. In diesem Jahr gab es Räucherlachs mit Meerrettichsoße als Vorspeise, Hähnchenbrust auf Reis indische Art und Eis zum Nachtisch. Nach diesem vorzüglichen Essen, das der ganzen Familie ausgezeichnet geschmeckt hatte, räumten sie gemeinsam den Tisch wieder ab und setzten sich aufs Sofa, um den Familienfilm im Fernsehen anzuschauen. Die Eltern tranken noch ein Gläschen Rotwein und die Kinder Apfelschorle. Nach etwa 20 Minuten passierte es.
Plötzlich fiel der Strom aus. Zum Glück brannten die Kerzen auf dem Adventskranz und gaben Licht. Schnell holte Markus einige andere Kerzen und entzündete sie. Zusätzlich hatte Gisela eine Tüte mit Teelichtern auf den Tisch gestellt. Oliver war in die Küche gelaufen, hatte den Rolladen hoch gezogen und konnte sehen, dass die ganze Straße keinen Strom mehr hatte. Da klingelte das Handy und die Stimme eines Nachbarn teilte ihnen mit, dass er beim Elektrizitätswerk angerufen hätte. Der Stromausfall würde wohl einige Stunden dauern, denn die Fehlersuche und Reparatur gestalteten sich äußerst schwierig. Markus bedankte sich und beendete das Gespräch. Er gab die Nachricht an die Familie weiter und bat um Vorschläge bezüglich des weiteren Ablauf des Abends. Manuela meinte, ein Gesellschaftsspiel wäre schön aber das lehnte Oliver kategorisch ab, denn er verlor fast immer. Gisela schlug vor, dass jeder ein Buch lesen sollte. Zum Lesen hätten die Zwillinge aber auch keine Lust. Markus hatte eine Idee, die erst nach einiger Bedenkzeit Zustimmung fand. Jeder sollte eine erfundene Geschichte erzählen, denn das würde seiner Meinung nach am besten in die Weihnachtszeit passen. Danach ging er Decken holen, denn die Heizung funkzionierte nicht mehr und es kühlte merklich ab.
Als die gesamte Familie unter den dicken Decken auf dem Sofa saß, sich zusammen kuschelte und dadurch gegenseitig wärmte, begann Gisela mit dem Geschichten erzählen. Sie konnte sehr gefühlvoll und warmherzig vortragen. Gebannt hingen die anderen Familienmitglieder an ihren Lippen. Markus hingegen liebte Satiren, Manuela mochte Horrorgeschichten und Oliver hatte das Talent eines orientalischen Märchenerzählers. Gisela hatte ihre zweite Geschichte fast beendet, als der Strom wieder kam. Sie atmeten auf und hörten sich das Ende trotzdem aufmerksam an.
Immer wieder erinnerte sich Jeder noch gern an dieses Weihnachtsfest und manchmal wurde im Kreise der mittlerweile großen Familie, denn die Zwillinge hatten selbst schon Kinder, solch ein Geschichtenabend veranstaltet.
-------------------------------------------------- Ich wünsche allen Wesen Wohlgefühl, 's ist kostenlos und bringt so viel.